: Abgeschlagene Foto-Köpfe
■ Gebrochene Realität: „Reflected Images 2“ im Kunsthaus
Das brave Kind soll Laubsägearbeiten für Mutti basteln. Doch der Berner Künstler Reto Leibundgut macht sich mit der Stichsäge so lange über große Spanplatten her, bis er Pornoparaphrasen oder Teile eines Flugzeugwracks in einem meterhohen Maisfeld zusammenbauen kann. Die Arbeit bildet im Kunsthaus Hamburg das Zentrum der Ausstellung Reflected Images 2. Grundthema sind Reflexionen zur Bildmacht der Fotografie durch je drei Kunstschaffende aus Marseille, Tun, Bern und Hamburg.
Nicht nur Martin Guldimanns Videodoppelprojektion zeigt, dass in der Fotografie Schaulust und die Lust am Sich-Exponieren zusammenfallen. Doch war da nicht immer auch die Befürchtung, die technischen Abbilder würden den Abgebildeten näher zum Tode führen? Drei Fotos abgeschlagener Köpfe legen solche Gedanken nahe. Doch sie sind keine Hommage an die Guillotine, sie verweisen eher auf den Brutalismus bei Caravaggio. Allerdings schlägt sich hier Salome selbst den Kopf ab: Es sind zu Todesvisionen bearbeitete Selbstporträts der Künstlerin Michèle Sylvander, die ihre aufs Letzte gerichtete Gültigkeit behalten.
Wie bei den fein be- und übermalten Fotos von Marc Lüders versuchen die meisten Künstler immer wieder, klar zu machen, dass erst in mehrfacher Brechung des Abbildmaterials eine komplexe Wahrheit liegt. Solchen Reflexionen dienen die Raummodelle von Véronique Zussau oder die durch übereinandergelegte Glasplattendias verdichte Kunstgeschichte von Bianca Hobusch.
Beim Blick in die gemalten (!) Wolken im Video von Sandrine Raquin erscheinen meteorologische Zeichen: Wo sich das Wissenschaftliche ins Weltbild drängt, hat die glückliche Romantik fast ein Ende. Doch die Meteorologie, deren methodisch richtige Aussagen oft so wenig mit der eintretenden Realität zu tun haben, ist nicht nur in dieser Weise eine poetische Wissenschaft, ihre technischen Kürzel selbst eignen sich als künstlerisches Material.
Links von der Vorhalle geht es in ein von Peter Dombrowe gebautes Raummodell. Das setzt nicht nur die Intention seiner Fotos grenzüberschreitender Räume ins Dreidimensionale, das ist auch ein Verweis auf die neuen Pläne des Kunsthauses. Nachdem die Institution als gemeinnützige GmbH geführt wird, kann sie nun auch die hier schon im Ansatz genutzte, westlich benachbarte Barlach Halle K bespielen. Ein kompliziertes Vertragswerk mit dem bisherigen Mieter und die nach Aufgabe der Halle K3 auf Kampnagel hierher transferierten Gelder der Kulturbehörde machen es möglich.
Hajo Schiff
Reflected Images 2 (Laetitia Benat, Peter Dombrowe, Martin Guldimann, Bianca Hobusch, Reto Leibundgut, Marc Lüders, Sandrine Raquin, Michele Sylvander, Veronique Zussau), Kunsthaus, Klos-terwall 15; Di–So 11–18 Uhr; bis 17. Februar. Katalog 17 Euro
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