: Wehmütig, filmsatt und leicht desorientiert
Ehebruch ist noch immer das Thema, das viele Filme inspiriert. China spendierte der Berlinale ein schönes Feuerwerk, weil der Dienstag auch der Beginn des dortigen neuen Jahres war. Vielleicht sollte man die Feuerwerkskunst fördern: Eine subjektive Rückschau auf die zwölf Festivaltage
von DETLEF KUHLBRODT
Die Berlinale hatte für die Redaktion etwas unglücklich begonnen: Kollege Dietrich Kuhlbrodt musste sein Kommen kurzfristig absagen, weil seine Frau so krank war, Freund Harald brach sich kurz vor Beginn beide Arme und bei mir steckte plötzlich ein halber Backenzahn im Schinkenbrot.
Natürlich war es trotzdem prima! Wehmütig und etwas desorientiert blickt man zurück und schaut im Kopf nach, was übrig geblieben ist von zwölf Tagen, in denen man so leicht hysterisch von Film zu Film hetzte.
Am Dienstagabend gerieten wir dabei plötzlich in ein wunderschönes halbstündiges Feuerwerk, das zur Feier des chinesischen Neujahrstages in der Nähe des Potsdamer Platzes abgebrannt wurde, und dachten, dass es schön wäre, wenn statt Opern die Feuerwerkskunst gefördert werden würde. Toll auch, dass Sat.1 nicht mehr als Hauptsponsor mit seinem Gutdraufismus herumnerven konnte. Dann mussten wir uns beeilen und die Kollegin Stephanie Grimm machte mit ihrem Fahrrad einen Salto, weil ihre Hose in die Kette geraten war. Am nächsten Morgen riß das Bremsseil beim Versuch, die Fahrradbremsen am Potsdamer Platz zu reparieren und das SZ-Probeabo, das ich als „Elvis Glitter“ grad bezog, hätte ich eh schon vor Tagen kündigen müssen. Lars Rudolph, der in dem Trashfilm „Antman“ denselben spielte, stand im Café und erzählte, er sei grad für seine Hauptrolle in Bela Tarrs „Werckmeisterischen Harmonien“, der letztes Jahr im Forum lief, zum besten Schauspieler Ungarns gewählt worden und den ungarischen Rechten sei das gar nicht recht gewesen. Nachmittags hatte der estnische Regisseur Peeter Simm vor seinem schönen Kleptomanendrama „Good Hands“ gesagt „Willkommen für den Film und schlafen Sie gut“, abends leitete der ehemalige Forumschef Ulrich Gregor eine Diskussion im Delphi und erinnerte irgendwie an Leonard Cohen. Viele Schüler hat der Altmeister, doch niemand beherrscht so wie er nachgerade japanisch anmutende Höflichkeitsformen: „Ich würde noch fragen wollen, ob die Regisseurin etwas zu den Shot-Plätzen sagen könnte.“
Um zwei Uhr nachts auf dem Weg vom Delphi nach Hause war zwischen Potsdamer Platz und Halleschem Tor tatsächlich kein Auto mehr auf der Straße. Der Potsdamer Platz leutetet links daneben und wirkte sehr einsam. Andreas Dresens „Halbe Treppe“ ist definitiv kein großer Film, dachte man so, verglichen mit den Klassikern, die auf der European-60s-Retrospektive gezeigt wurden, oder auch mit David Lynchs „Mulholland Drive“. Halt eher so ein ausgedacht hübscher „warmherziger“ Konsensstreifen, dachte man, während man in die Kantstraße einbog. Der chinesischen Regisseur Jia Zhangke hofft in seinem gegen die fortschreitende Verkunstung und cinematografische Globalisierung gerichteten Manifest, das über einer großartigen Reihe mit Undergroundfilmen aus China stand, auf ein neues Zeitalter des Amateurfilms.
Ehebruch war eh ein häufig behandeltes Thema. Am besten in dem ausgeprochen handlungsarmen koreanischen Forums-Film „Camel(s)“, in dem zwei Verheiratete um die 40 in Schwarzweiß ans Meer fahren, und ihre höflich-depressiven Dialoge wirken so alltäglich entfremdet und hyperreal. „Die Familien sind kaputt, die Beziehungen sind kaputt, aber wir sitzen trotzdem an einem Tisch und essen zusammen“ sagte Kazama Shiori nach ihrem Film „Mars Canon“, in dem eine junge Frau einen verheirateten Mann liebt und später lesbisch wird.
Am Ende des Festivals kamen die schönsten Filme. „Wesh, wesh …“, der engagierte Debütfilm von Rabah Ameur-Zaimeche, der halbdokumentarisch von haschdealenden Algeriern in der Banlieue erzählt und mit dem Staudte-Preis ausgezeichnet wurde, der koreanische Erstlingsfilm „Take care of my cat“, der so real, lebendig und melancholisch aus dem Leben junger Mädchen in Seoul erzählt und einer der ersten Filme ist, in denen Handys eine tragende Rolle spielen, und der actionreich verstörende Hongkong-Thriller „Fulltime Killer“ von Jonnie To mit dem Popstar und Schauspieler Andy Lau, der für Glamour gesorgt hatte, als er dann im Delphi so charismatisch und superelegant auf der Bühne stand, umjubelt von asiatischen Zuschauern drei Sätze sagte und dann wieder ging, und man selber dachte, dass es sich allein für diese drei Minuten gelohnt hatte, nachts ins Delphi zu kommen.
Einerseits spielt Andy Lau oft so sehr kranke Killer, andererseits singt er Schnulzen und in „Dance of a dream“, dem schwächeren seiner beiden Filme, fällt der seltsame Satz „When you have a boss, you have a dream, when you have no boss, you have no dream“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen