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Gecurlter Puck im Glattbacher Drittel

Bei Hamburgs Bewerbung um die Olympischen Winterspiele 2014 tauten St. Paulis Hoffnungen auf den Klassenerhalt im Riesentorlauf am Millerntor  ■ Von Peter Ahrens

Das Thema Schnee lässt uns derzeit nicht los, da mögen Senatoren noch so viele lupenreine Lockenproben vorlegen. Der Stadionsprecher sagt: „Die Olympischen Winterspiele am Millerntor sind eröffnet“, und so sei es. Die Spieler sind Slalomstangen, die Verteidiger grätschen einen sauberen Telemark, das Spielgerät curlt in der Gegend herum, und Arie van Lent ist eine holländische Eisschnelllauf-Legende. „You'll never walk alone“ ist die Internationalhymne, und das ganze heißt Riesentorlauf. Vielleicht noch Biathlon – Laufen und Schießen. Jedenfalls nicht Fußball. Durch das 1:1 auf heimischem Eis gegen Borussia Mönchengladbach I hat sich der FC St. Pauli I im Medaillenspiegel nicht verbessern können. „Wir werden weiter kämpfen“, verspricht Trainer Dietmar Demuth trotzdem und trotzig.

Die Akteure versuchten sich am Samstag in der Disziplin des Liegendschießens, drehten Pirouetten, verkanteten ab und an mit dem Innenski oder übten sich als Doppelsitzer im Zweikampf. Gerne schreiben Fußballreporter dann: „Dem Zufall waren Tür und Tor geöffnet.“

Zum Beispiel nach einer halben Stunde, als die Gladbacher, durch die Trikot-Tarnfarben Weiß mit ein bisschen Grün mit einem unschätzbaren Vorteil versehen, den Puck hoch ins St. Pauli-Drittel spielten. Der kam auf den Boden und blieb in einer Schneewehe stecken. Bevor Holger Stanislawski das erkannt hatte, skatete van Lent heran, fuhr seinen linken Schlittschuh aus und spielte Tormann Simon Henzler durch die Schoner zur Gäste-Führung.

Bis dahin war das Spiel gar munter zu nennen. Der Trick, nur den Strafraum vom Schnee zu befreien, brachte den erhofften Effekt: Die Spieler waren bemüht, sich und den Puck möglichst oft ins Grüne zu befördern, um mal ein paar Schritte ohne Gleichgewichtsprobleme laufen zu können.

Der Rückstand – ein Schock? In keinem Fall. Nur vier Minuten später Bully vor dem Gladbacher, besser Glattbacher, Gehäuse. Hohe Flanke, und Jochen Kientz erwischt genau den Absprung vom Bakken, liegt mit schönem V schräg in der Luft oder ist es gar ein dreifacher Axel? Egal, volley per Seitfallzieher erwischt er die Hartgummischeibe und erzielt sein ers-tes Tor für den FC St. Pauli.

Die Hamburger bekommen dadurch noch mehr Aufwind, wobei Stürmer Niko Patschinski zugute kommt, dass sein Vater mal ein Eishockey-Internationaler für die DDR war. Seinem Kollegen Marcel Rath hingegen sind winterliche Witterungsverhältnisse ohnehin nie ein Hemmnis gewesen, heiß zu laufen.

Nach der Pause im 2. Slalom-Durchgang nur noch Schaulaufen der Meister. Dreifachsprünge, Überschläge in der Halfpipe, zwischendurch ein auch für den Schützen selbst überraschender Lattenschuss von Christian Rahn und eine glänzende Parade Henzlers gegen den allein vor ihm stehenden Borussen Ivo Ulich. Und dann Schneesturm, die Fans singen wieder mal „Hamburger Wetter“, was mindestens gelogen ist, und Gäste-Biathlon-Trainer Hans Meyer freut sich am Ende, „dass die Verletzungsgefahr heute geringer war als sonst: Die Leute fallen wenigstens weich“.

Alle außer Schiedsrichter Hartmut Strampe und dem um seinen engen Terminplan bangenden Deutschen Fußball-Bund waren sich einig, dass an diesem Tag eigentlich nicht hätte angepfiffen werden dürfen. Es sei denn, man versteht den Nachmittag als ernsthafte Bewerbung Hamburgs für die Winterspiele 2014.

Und die Hoffnungen auf den Klassenerhalt sind wieder ein bisschen weggetaut.

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