: Zwölf Farben grau
Ein monatlicher Farbverlauf für die Zeit und eine schöne Ordnung für das Chaos des Lebens: Käthe Kruses Ausstellung „Zatteltracht im Zauberwald“ in der Galerie Zwinger und ihre Performance „Le Sexe Rouge“ im Hamburger Bahnhof
Es gibt Maler, die richten mit ihren Farben Chaos an, und es gibt welche, die schaffen mit ihnen Ordnung. Zu ihnen gehört die Berliner Künstlerin Käthe Kruse. Weil Farben und ihre Anordnung eben viele Ideen, Dinge, Systeme repräsentieren können, stehen die Farbmischungen ihrer Farbstreifen, monochromen Bilder und Überglasmalereien für die zwölf Monate des Jahres. Es ist ein zarter und unkomplizierter Ordnungssinn, der Käthe Kruse beseelt, er kommt unserem Alltagsempfinden sehr nahe. Warum also der Zeit nicht einen Farbverlauf geben? Dass Kruses Blaumischungen für die Wintermonate zu Jahresbeginn stehen, der frische Sommer aber Grün und Gelb im Gewand hat, während mit der Sonne im August ein heißes Rot ins Spiel kommt, das sich bis zum Oktober in die Farben mischt: Wer könnte das nicht nachvollziehen?
Nur: Wenn alle Monatsmischungen dann zusammen kommen, ist das ganze Jahr grau. Dieser melancholische Treffer charakterisiert die erhebliche Intelligenz von Kruses Malprogramm. Er ist die Pointe, auf die sie gar nicht aus ist, der ironische Schlenker, der ihren malerischen Farbhoroskopen jeden Ruch von Esoterik nimmt. Das Streifenbild „Semesterferien“ sortiert in der Tat eben die Monate der universitätsfreien Zeit. Daneben hängt der monochrome August, der ihrer Tochter Edda gewidmet ist, der März gehört Tochter Klara und ein ganzer Farbstreifenblock den Bremerhavener Freunden.
In der Galerie Zwinger geben diese Bilder jetzt die Anordnung für die Farbstreifen vor, mit denen Käthe Kruse die große Längswand im Büroraum bemalt hat. Die neuen Farbstreifen an der Wand sind im Ton natürlichfrischer als die der davor hängenden Bilder, die im Lauf der Zeit Patina angenommen haben.
Glas ist ein gutes Material, gegen die alles zersetzende Zeit. Aber auch feinere Materialien konservieren die Dinge gegen diese Macht. Das zeigt sich in der Serie „Zatteltracht im Zauberwald“ aus zwölf überglasten, gerahmten Blatt Papier, das in der königlichen Papiermanufaktur in Bhutan geschöpft wurde. In diesem stoffzarten Papier sind wie in einer Fossiliensammlung Blütenblätter, Gräser oder auch die Haare eines Yak eingelassen. Weil sich aber im Lauf der Zeit die Bilder und die Erinnerungen überlagern, hat Kruse diesen Prozess in ihren Bildinszenierungen gleich mitbearbeitet. Auf das Glas, das das Papier schützt, trug sie die Monatsfarbe seiner Entstehung auf, um dann feinsäuberlich die Struktur eines japanischen Gebetschreins auszukratzen, oder die Umrisse von Gaudìs Kathedrale in Barcelona. „Zatteltracht im Zauberwald II“ führt dieses Verfahren fort. Nun stecken Fotografien unter dem Glas, überblendet durch die negative Aussparung anderer Szenen wie der Golden Gate Bridge oder einer Felsenküste in Portugal, die Kruse aus den Monatsfarben auf dem Glas abtrug.
Merkwürdigerweise 13 Lieder und nicht zwölf, wie es das Jahr verlangt, hat Käthe Kruse, die zwischen 1980 und 1987 Schlagzeugerin, Sängerin und Performerin der Berliner Musik- und Künstlergruppe Die tödliche Doris war, für ihre CD „Le Sexe Rouge“ aufgenommen. In Kruses Ausstellung im Kunstverein Bremerhaven vor zwei Jahren konnte man ihren Liederzyklus als Abfolge kleiner Videoclips erleben. Nun kommt auch in Berlin die ganze multidimensionale Komposition aus Film, Farbprojektion und Gesang zur Aufführung. Erstmals als gesamter Zyklus, am 14. März im Hamburger Bahnhof. Für das „Alphabet des Augenblicks“ zählte Kruse in Bremerhaven moderne Reizwörter von „Angst“ bis „Zukunftsaussicht“ auf. Inzwischen dürften für Berlin noch ein paar wohlbekannte, aktuelle dazugekommen sein. BRIGITTE WERNEBURG
Bis 16. März, Galerie Zwinger, Gipsstr. 3, Di–Fr 14–19, Sa 11–17 Uhr; am 14. 3, Hamburger Bahnhof, Invalidenstr. 50/51, 22 Uhr „Le Sexe Rouge“
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen