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Ei um Ei, Köttel um Köttel

Wie sich der Osterhase einmal verrechnet hatte und mit einem schweren Holzkreuz auf der Schulter durch Kreuzberg prozessieren musste. Eine fast klassische Ostergeschichte

„Wenn Sie mir bitte folgen würden“, legte sich in der Schreibwarenabteilung von Wollwat eine schwere Hand auf eine schmale Schulter, „und zwar möglichst unauffällig.“ Der Hase zuckte zusammen. Mit pochendem Herzen folgte er dem Schwerhändigen in dessen Büro. „So – und jetzt leeren Sie mal alle Taschen aus!“ Ein wenig widerwillig gehorchte der Hase. Seine Schnurrhaare zitterten und verrieten das schlechte Gewissen. Er griff tief in seine Pelztaschen, zog ein paar Schokoladeneier heraus und legte sie vor sich auf den Tisch.

„Aha“, triumphierte sein Gegenüber, „was haben wir denn da?“ Er untersuchte die Eier und stutzte: „Wo haben Sie denn die geklaut?“ “Die habe ich nicht geklaut – ich bin der Osterhase!“ „Und ich bin der Weihnachtsmann!“ “Ja, wirklich?“ Der Osterhase schien erleichtert. „Nein, ich bin nicht der Weihnachtsmann – ich bin Ladendetektiv. Und Sie lassen jetzt mal Ihre blöden Sprüche und leeren schön die Taschen weiter aus!“

Staunend beobachtete er, wie der Osterhase Ei um Ei auf den Tisch packte, bis sich dort ein Berg stapelte, der fast bis zur Decke reichte. Ob er, Hase, jetzt fertig sei, fragte er und der bejahte. Daraufhin tastete der Detektiv ihn gründlich ab und fand schließlich ein winziges Blöckchen mit gelben Haftzetteln: „Und was ist das?“ Unter seinem Fell erbleichte der Hase. Er schwieg. „Sie wissen, was Ihnen jetzt blüht?“ – „Strafanzeige und Hausverbot?“, jammerte der Osterhase kleinlaut.

„Nun, auch Ihnen dürfte doch hinlänglich bekannt sein, dass es für Nagetiere eigene Gesetze gibt. Und die sehen für Ladendiebstahl nun mal die ‚Prozedur‘ vor. So leid es mir tut …“ – „Die ‚Prozedur‘? Aber die Notizzettel hätten nur 99 Pfennige gekostet!“ – „Erstens: Das hätten Sie sich früher überlegen können. Und zweitens: Was heißt denn, bitte schön, ‚nur 99 Pfennige‘? Versetzen Sie sich doch mal in unsere Lage: Stellen Sie sich vor, jeder würde das machen – was das Wollwat kosten würde: zehn Milliarden Menschen. Mal 99 Pfennige. Macht …?“ – „Doll viel?“, schniefte der Osterhase. „Ganz doll viel“, bestätigte der Ladendetektiv: „9 Milliarden 900 Millionen Mark! Und jetzt stellen Sie sich mal aufrecht hin!“

Tatsächlich schien nun beinahe so etwas wie Bedauern in seiner Stimme mitzuschwingen. Er holte ein großes Lineal hervor und vermaß den Hasen. Dann griff er zum Telefonhörer: „Hallo, wir haben wieder einen erwischt … ja, hier im Büro … 45 Zentimeter … haben Sie da? Prima! Bis gleich …“ – „So“, meinte er, nachdem er den Hörer aufgelegt hatte, „wir haben nicht mehr viel Zeit. Die Eier können Sie wieder einstecken – die sind nicht von uns.“

Kurze Zeit später erschienen zwei Männer der „Berliner Wache“ im Büro und nahmen den Osterhasen mit. Draußen, vor Wollwat an der Hermannstraße, standen noch mehr Wachmänner. Sie bewachten eine große Menge Nager, von denen jeder ein Holzkreuz auf der Schulter trug. Auch der Osterhase bekam eines in der passenden Größe. Dann setzte sich der Zug in Bewegung. Der Marsch ging zunächst quer durch die Hasenheide. „Was hast du denn angestellt?“, fragte neugierig das Kaninchen, das neben dem Osterhasen marschierte. „Geklaut. Und du?“ – „Falsch geparkt“, antwortete der Nachbar, „die Scheiße ist ja, dass du echt niemandem vertrauen kannst. Guck dir zum Beispiel den Hamster da hinten an …“ – „Was ist mit dem?“ – „Der wollte aus dem Käfig ausbrechen und seine eigene Frau hat ihn dabei verpfiffen. Die musste das Laufrad wohl unbedingt für sich alleine haben. Und wer hat dich verraten?“ – „Ich glaube, die Ladenkamera.“ – „Komisch“, beäugte das Kaninchen den Hasen, „ich hätte gedacht, Judas …“ – „Judas?“ – „Ach Quatsch – bloß so’n Spruch: Du machst irgendwie so’n Frommen …“ – „Schnauze, ihr beiden!“, brüllte ein Wachmann und sie schwiegen, bis sie auf die andere Seite der Hasenheide gelangt waren.

Menschen säumten die Straßen und beschimpften die Unglücklichen. Der Osterhase stolperte unter seiner schweren Last, wobei ihm ein paar Eier aus der Tasche fielen. Ein Kind weinte, als es ihn so sah, und das Kaninchen staunte: „Hey, du bist ja der Osterhase! Kann ich dich als Promi mal was fragen?“ – „Hm?“ – „Findest du das gerecht, dass es für Nagetiere eigene und viel härtere Gesetze gibt?“

Bevor der Osterhase antworten konnte, hatte ihm eine Ratte mitten ins Gesicht gespuckt und schrie: „Davon habe ich schon lange geträumt!“ Endlich näherten sie sich ihrem Ziel, dem Viktoriapark. Es ging am „Golgatha“ vorbei und weiter den Kreuzberg hinauf. Spätestens jetzt wusste auch die dümmste Maus, warum der so hieß und was die Stunde geschlagen hatte. Auf dem Gipfel wurden die kriminellen Nager an ihre Kreuze genagelt und diese im Halbkreis in die Bäume gehängt. Dann hatte die „Berliner Wache“ Feierabend und ließ sie allein.

„Ojemine“, klagte der Osterhase. Es tat sehr weh. Auch die anderen jammerten. Am nächsten Nachmittag jammerte nur noch der Osterhase. Die Augen wollten ihm schon brechen, als er plötzlich bemerkte, dass der Ladendetektiv unter sein Kreuz getreten war. Er sei hier gerade mit seiner Familie um die Ecke beim Picknick, erklärte der Detektiv dem überraschten Langohr, weil doch Samstag sei. Und er habe einen großen Fehler gemacht – das habe ihm keine Ruhe gelassen, deswegen suche er ihn nun auf.

„Welchen Fehler?“, wisperte der Osterhase hoffnungsvoll. „Ich habe mich geirrt: Sie haben natürlich auch Hausverbot – zusätzlich!“ Er müsse mal – ob er mal austreten könne, bat der Hase nun mit schwacher Stimme. „Ja natürlich, ich mach Sie gleich los“, wieherte der böse Mann, „nein, im Ernst – glauben Sie, ich fall auf einen derart blöden Trick rein?“ – „Na gut, dann eben nicht“, seufzte der Osterhase. Er drückte und drückte und köttelte schließlich dem Ladendetektiv mitten auf den Kopf. „Es ist vollbracht“, sagte der Osterhase. Dann starb er. ULI HANNEMANN

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