: Ungute Konnotationen
betr.: „Urbane Inseln für die Minderheiten“, intertaz vom 25. 3. 02
„Welfare als Daseinsform“ – für sich genommen ist gegen das Statement nichts einzuwenden. Tatsächlich gibt es für viele Fürsorgeempfänger kaum eine Perspektive, jemals wieder auf eigenen Füßen zu stehen. Und natürlich prägt die Fürsorgeabhängigkeit das gesamte Dasein: kein Job, schlechte Wohngegend, schlechte Schulen, hohe Kriminalität etc. Das Problem ist, dass die Phrase doch gar zu sehr an die politische Polemik der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre erinnert. Drastische Verschärfungen des Fürsorgerechts wurden damals eingeleitet, und zur Begründung wurde allenthalben darauf verwiesen, dass Fürsorgeabhängigkeit zum „Lebensstil“ geworden sei – eine Diktion, die inzwischen auch zu uns herübergeschwappt ist und die Debatte um die Reform unserer Sozialhilfe anheizt. Gerade deswegen scheint es mir wichtig, auf die unguten Konnotationen hinzuweisen.
Noch dringender aber ist der Passage zu widersprechen. „Frauen sicherten sich durch ledige Mutterschaft innerhalb der Community ihren sozialen Status.“ Dass ledige Mutterschaft den sozialen Status heben könnte, verwundert zunächst. Aber der nächste Satz sorgt für Klärung. „Nur minderjährige Kinder garantieren den Bezug von Sozialhilfe.“ Ums Geld soll es ihnen also gehen. In den USA geistert diese Vorstellung tatsächlich seit einigen Jahren durch die öffentliche Diskussion. Nachzulesen ist sie insbesondere im radikal-konservativen Reformprogramm der Republikaner, das Mitte der 90er unter dem Titel „Contract with America“ und unter Führung von Newt Gingrich den Anstoß zur erwähnten Fürsorgereform gab. Plausibler wird sie dadurch jedoch nicht. Oder glaubt tatsächlich irgendjemand an die „black teenage welfare mom“, die sich (zum wiederholten Male) schwängern lässt, nur um (noch mehr) Sozialhilfen abzuzocken? Eine Sozialhilfe überdies, die auch nicht annähernd das hiesige Niveau erreicht und in vielen Gegenden der USA kaum zum Überleben reicht.
ALEX GRASER, Max-Planck-Institit für ausländisches und internationales Sozialrecht, München
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