Schmidt stoppt Kassenwechsler

Gesundheitsministerin will Wechsel in die Privatkassen eindämmen. Institut soll Behandlungsgüte sichern

BERLIN taz ■ „Die größte Zerstörungskraft für ein Gesundheitssystem entsteht, wenn man den Leuten die Wahl zwischen einer gesetzlichen und einer privaten Versicherung ermöglicht“, erklärte Marc Roberts von der Harvard University gestern.

Es war mithin ein US-Amerikaner, der auf der Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung „Gesundheitssysteme im internationalen Vergleich“ die klarsten Worte für die Malaise der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland fand. Die Reichen und Gesunden ohne Kinder gehen zu den privaten, die Armen und Kranken bleiben in den öffentlichen Kassen: „Risikoselektion“ heißt das im Jargon. Sie sei, sagten alle Fachmenschen auf dem Podium, das größte Problem des deutschen Systems.

Das Ausmaß dieser Selektion bezifferte Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) in ihrem Auftritt: Nicht weniger als 212.700 Personen haben im Jahr 2001 aus der gesetzlichen in die private Versicherung gewechselt und damit der Solidargemeinschaft ein Minus von einer Milliarde Euro beschert. Im Jahr 2000 wechselten 176.400 Personen.

Schmidt kündigte erstmals – übrigens ohne das Wort „Gesundheitsreform“ in den Mund zu nehmen – offen an, welche Folgen sie daraus zu ziehen gedenkt: Sie will die Versicherungspflichtgrenze erhöhen und dadurch junge Gutverdiener ein Weilchen zum Verbleib in der gesetzlichen Kasse nötigen. Diese Grenze liegt derzeit bei 3.375 Euro im Monat. Wer mehr verdient, darf sich privat versichern.

In einem anderen Punkt wich Schmidt von dem Expertenpapier ab, das unter dem Titel „Reform für die Zukunft“ gestern von Schmidts Lieblingsberater, dem Kölner Gesundheitsökonomen Karl Lauterbach, vorgestellt wurde: „Andere Einkommensarten“ – etwa Kapital- oder Mieteinkünfte – zur Erhebung der Kassenbeiträge heranzuziehen, lehnte sie ab. Dies gehe „letztlich zu Lasten unterer und mittlerer Einkommen“, behauptete sie.

Nun, da sich die Union darauf geeinigt hat, für Wahlleistungstarife mit Selbstbehalten einzutreten – also den Versicherten zum Teil freizustellen, wogegen sie sich versichern –, hat Schmidt Oberwasser. „Die Union will den Systemwechsel“, warnte sie.

Mit dem „Erhalt des Solidarsystems“ lässt es sich entschieden besser Wahlkampf machen. Zumal ihr Hauptgegner in der SPD, Florian Gerster, nun als neuer Chef der Bundesanstalt für Arbeit anderweitig beschäftigt ist und die Wahrscheinlichkeit, dass sie Ministerin bleibt, gestiegen ist.

Sie wolle ein „Zentrum für Qualität in der Medizin“ errichten, sagte Schmidt. Hinter diesem Namen verbirgt sich für die verfilzte Selbstverwaltung von Kassen und Ärzten Sprengstoff: Denn bislang befinden Ärzte- und Kassenvertreter untereinander, was eine sinnvolle medizinische Behandlung und was eine kassenfinanzierte Leistung ist. Zukünftig müssten sich die Gremien darüber mit dem Qualitätszentrum verständigen. Das – hoffentlich unabhängig bleibende – Institut wäre dann die entscheidende Instanz zur Schaffung von Leitlinien zur Behandlung der großen Volkskrankheiten. ULRIKE WINKELMANN