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Angespannte Kreise gezogen

■ Ballettabend mit Choreographien von Neumeier und Sansano in der Staatsoper

Das Ballett der siebziger Jahre neben Choreographien des 21. Jahrhunderts: Der neue Ballettabend in der Staatsoper umspannt einen großen Zeitraum. Da sind einmal Desir, ein Kammerduett, mit dem John Neumeier 1973 in Hamburg seinen Einstand als Ballettdirektor gab, und Vaslaw, Studien seiner ersten Auseinandersetzung mit dem Tänzer Nijinsky von 1979. Konfrontiert werden diese Stücke mit Getting Closer, kreiert vor zwei Jahren für das American Ballet Theatre, und der Gewinnerchoreografie des Prix Dom Pérignon 2001: Weight on my Back von dem Spanier Gustavo Sansano. Dieser Preis berechtigt den Gewinner unter anderem dazu, die Choreografie mit dem Hamburg Ballett einzustudieren.

Dumpfe, vibrierende Klänge waren in der aktuellen Aufführung zu hören. Die Bühne war fast dunkel. Nur schemenhaft war zu erkennen, wie sich die Tänzer am Boden drehten, geschmeidig dahinglitten, sich emporwanden und wieder nach unten sanken. Sansanos mys-tisch aufgeladenes Stück wirkte wie eine Expedition in den Regenwald. Aus dem Becken heraus wachsen in der Choreographie des Tänzers der Jugendcompagnie des Nederlands Dans Theaters die Bewegungen. Das sieht im Ergebnis recht selbstgefällig aus, was wohl kaum an den Hamburger Interpreten liegt, die sich den ungewohnten Stil überzeugend angeeignet haben. Der eine Mann zwischen vier Frauen setzte sich gleich an den Bühnenrand, schaute erst einem lachenden Geschlechtsgenossen auf einer Leinwand zu. Dann blickte er auf die Tänzerinnen, die im Gegenlicht zappelten wie die letzten Exemplare einer Spezies.

Im neuen Kontext erscheint Weight on my back weit weniger originell und ohne den Witz, den man von anderen Choreografen der niederländischen Compagnie gewohnt ist. Auch standen sich an diesem Abend urbane und mys-tisch-rituelle Choreografien gegenüber. Neumeiers Getting Closer zu Ned Rorems String Symphony ist der erstgenannten Gattung zuzuordnen. Und es ist ein neues Juwel im Repertoire – ästhetisch sowie tänzerisch. Sehr amerikanisch wirkt es, was Tempo und luzide Form angeht. Keine bessere Interpretetin gibt es dafür, als Elizabeth Loscavio.

Neumeiers Le Sacre von 1972 zu Strawinskys Frühlingsopfer schloss sich an Gustavos Stück an. Niurka Moredo, mittlerweile im Hamburg Ballett prädestiniert für expressive Barfußrollen, gab ihr Debut in der Partie der Tänzerin, die am Ende alles gibt. Allein auf weiter Bühne, zog sie einen angespannt letzten Kreis und verlor am Ende doch die vibrierende Konzentration, mit der sie das Opferritual begonnen hatte. Marga Wolff

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