: Mit unerschütterlichem Gleichmut
Die mongolische Band Huun-Huur-Tu aus Tuva begeistert im Berliner Kesselhaus mit ihrem schrägen Obertongesang
Die vier Männer von Huun-Huur-Tu machen den Eindruck, als wären sie mal eben vorbeigekommen. Sie sitzen in einer Reihe, tauschen untereinander ein paar Blicke aus und spielen, weil sonst auch nichts zu tun bleibt in diesem mit Leuten angefüllten Saal. Verirrte, aber nicht verwirrte Spieler seltsamer Instrumente in seltsamen Kostümen, die ihre Stücke halluzinativ und schubweise ausgeklinkt durchlaufen lassen.
Sayan Bapa, Kaigal-ool Khovalyg, Anatoli Kuular und Alexei Saryglar aus Tuva, dem geografischen Mittelpunkt Asiens, hüteten in ihrem früheren Leben Schafe, bevor sie sich mit Leib und Seele der Erforschung ihrer musikalischen roots verschrieben und an einen Ort wie diesen gelangten. Die Kunst, die sie mit unerschütterlichem Gleichmut beherrschen, wird inzwischen auch hierzulande in Trainingsprogrammen und Seminaren von Ethnobegeisterten eingeübt: der Obertongesang, bei dem zwei oder drei Stimmen gleichzeitig gesungen werden, sich schwebend überlagern und zusammen Melodien erzeugen. Wegen der Transmitter freisetzenden Vibrationen des Obertons im Körper werden diesem Gesang auch bewusstseinserweiternde Wirkungen nachgesagt.
Von den monologartig-meditativen Gesängen verstünde man nichts, wären da nicht Bandleader Bapas in bassiger Stimme und gebrochen-einsilbigem Englisch zum Besten gegebene Song-Ankündigungen. Seine Ahnen hätten auf ihrem langen Trip nach China diese Kleidung angehabt, die sie jetzt tragen, sagt er schmunzelnd. Die ersten Songs, „Horse“, „About a Foreign Land“, „17 Horses“, sind rhythmisierte, von Saryglars mit einer Schneckenmuschel, einer mit Ziegenfell bespannten Trommel und einer Bullenhoden-Rassel unterlegte Stücke, die das distanziert-neugierige Publikum leicht mitwippen lassen. In der ersten Reihe steigen erste Haschwolken auf, Schwarzumhängte und Dunkelbebrillte stehen neben Rastas in versunkener Wartehaltung, während Bapa kurz erklärt, was man zur Geografie Tuvas wissen muss: dass es dort Taiga, Tundra, Steppe, Berge und Wald gibt.
Im „Forest Song“ imitiert Kuular durch ein langes Holzhorn Vogelstimmen, langsam entfernen sich die übrigen Bandmitglieder aus ihrer perkussiven Begleitung und lassen ihn allein zurück. Als Kuular endet, ertönt von irgendwoher der Schrei eines Greifvogels. Das nächtliche Walderlebnis muss eine Art Seelenaustausch bewirkt haben, jedenfalls rocken die vier Tuvenen im folgenden munter drauf los und die nächsten Stücke sind wie in bester Hardcore-Tradition kurz und in sich geschlossen.
Dem begeisterten Publikum geben sie noch einige Zugaben, dann verschwinden sie nach etlichen Verneigungen wieder in ihrem Hinterzimmer. Huun-Huur-Tu ist dem Wortsinn nach das Licht, das sich kurz vor und nach dem Sonnenuntergang über dem Gras bricht. Einige Besucher haben es an diesem Abend vielleicht gesehen, bevor sie ein Zettel verteilender Obertonsänger bzw. -lehrer wieder in die Wirklichkeit zurückholte: Um selbst erleuchtet zu werden, bedarf es noch harter Arbeit.
MATTHIAS ECHTERHAGEN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen