: Der Tanz der starken Frauen
Viele Paartänze spiegeln auf unterschiedliche Weise die traditionellen Geschlechterverhältnisse wider. Den Flamenco hingegen tanzen sowohl Männer als auch Frauen eigenständig: Persönlichkeit wird gefordert und gefördert
Wenn es einen Tanz jenseits von Paarformationen und Freestyle gibt, dann hier. Fünfzehn Frauen schmettern mit ohrenbetäubendem Lärm ihre Füße rhythmisch auf die Bretter. „Macht den Rücken lang, den Bauch nach oben, Brustbein raus und lasst die Schultern locker!“ weist Amparo die Schülerinnen an, und so aufgerichtet betrachten sie sich selbst im großen Spiegel bei ihren ersten zaghaften Flamencoversuchen.
Bereits in der Anfängerinnengruppe ist etwas vom Wesen dieses Tanzes erkennbar. Auch wenn die Eleven sich noch auf die Elementarschritte konzentrieren müssen, fordern allein der gerade Rücken und der laute, feste Tritt einen gewissen Respekt.
Über einen Mangel an Flamencoschulen kann man sich in Berlin nicht beklagen. Besucher der Tanzschule Amparo, einem ehemaligen Schöneberger Sägewerk mit weitläufigen Räumlichkeiten, werden für kurze Zeit ins sonnige Andalusien versetzt.
In der Gegend um Sevilla entstanden, vereint der Flamenco Elemente aus jüdischer, maurischer, indischer, iberischer und persischer Kultur. Es ist ein Tanz aus dem Milieu der Zigeuner Andalusiens. „Und es ist ein Tanz der starken Frauen.“ erklärt Amparo de Triana, die Inhaberin der Tanzschule und seit 1974 Bühnentänzerin. „Die Frau wird nicht vom Mann geführt, sie tanzt selbst.“
Der stolze Solotanz trägt sicherlich einiges zum Selbstbewusstsein und zur Lebensfreude der Tänzerinnen bei. Während viele Paartänze auf unterschiedliche Weise die traditionellen Geschlechterverhältnisse widerspiegeln und fortführen, richtet sich beim Flamenco die Aufmerksamkeit auf sich selbst.
Männer sind in den Flamencoschulen sehr willkommen, doch die Frauen bleiben hier mehr oder weniger unter sich. Sie lernen einen leidenschaftlichen Improvisationstanz, der in seiner Vollendung alle Variationen elementarer Gefühlszustände wie Einsamkeit und Verachtung, Liebe und Schmeichelei, Hass und Zärtlichkeit, Lockung und Verführung in sich birgt. Die Bewegungen sind souverän, etwas distanziert, und gleichzeitig geprägt von höchster Intensität. Was die besondere Ausdrucksstärke des Flamenco ausmacht, ist die Persönlichkeit des Tänzers oder der Tänzerin. Und die kommt naturgemäß besonders erst ab einem gewissen Alter zum Ausdruck. „Flamenco wird erst wirklich interessant, wenn die Tänzerinnen und Tänzer älter als vierzig sind“ sagt Amparo mit blitzenden Augen. Es fällt nicht schwer, dies der Frau mit den grauen Strähnen zu glauben.
SUSANNE KNECHTEN
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