piwik no script img

Machtdelikt nicht „Triebtat“

betr.: „Moralisch schwache Jahrgänge“ (So schnell werden die Katholiken ihre Zölibatsschäden nicht los), taz vom 25. 4. 02

[…] Sexueller Missbrauch ist ein Machtdelikt und keine, wie der Kommentar nahe legt, „Triebtat“. Vorwiegend Täter suchen sich abhängige und ihnen unterlegene Menschen, um ihr Machtbedürfnis mittels „Sexualität“ zu befriedigen. Das Geschlechter(macht)gefälle Mann/Frau, das Erwachsenen-Kind-Gefälle sowie täterschützende Strukturen in Institutionen machen dies so einfach. Sachlich falsche Informationen helfen weder den Betroffenen noch denen, die sie unterstützen könnten. Ich muss TäterInnen, ihre Strategien und Vorgehensweise, ihre tatsächlichen Absichten kennen und sie nutzen, um schützende Handlungsmöglichkeiten für Mädchen und Jungen entwickeln zu können. Unsere Arbeit wäre um so vieles leichter, wenn wenigstens die denkende Presse korrekt mit Erkenntnis und Wissen zum Bereich der sexualisierten Gewalt umgehen würde. BRIGITTE BRAUN,

Fachberatungsstelle Wildwasser Darmstadt

Was an dem aktuellen „Skandal“ sehr eindrucksvoll deutlich wird, ist, dass es sich bei sexueller Gewalt eben nicht nur um die Verfehlungen einzelner Menschen handelt. Vielmehr macht sich hier eine mächtige Organisation zur Mittäterin. Eine Organisation, die Moral und Menschenliebe geradezu für sich gepachtet hat, deckt Gewalttäter und zwingt die Opfer mit Bestechung und Druck – den Mitteln der Täter – zum Schweigen. Die kirchlichen Institutionen ermöglichen den Tätern die Fortsetzung ihrer Gewaltausübung – in einer neuen Gemeinde. Gleichzeitig nehmen sie den Opfern durch das erzwungene Schweigen die Chance auf Gerechtigkeit und Verarbeitung der Gewalterfahrung. Und das alles passiert nicht nur in Einzelfällen, wie auch die Öffentlichkeit jetzt erfährt, sondern vielfach und oft über Jahre und viele Opfer hinweg. Es geht hier – das sei noch einmal betont – um Verbrechen, nicht lediglich um moralische Entgleisungen.

Nun endlich sehen sich Papst und Kardinäle zum Handeln gezwungen. Es drängt sich jedoch stark der Eindruck auf, dass es ihnen – nach wie vor – um das Ansehen der Kirche und weniger um die Opfer geht. Nur so ist auch zu verstehen, warum sich Papst und Kardinäle zögerlich gegenüber Selbstverständlichkeiten verhalten. […] Sexueller Missbrauch an Kindern ist ein Verbrechen, in jedem einzelnen Fall. Und diese Verbrechen können nur stattfinden, weil sie immer wieder von anderen toleriert, verdeckt und vertuscht werden. So auch von der katholischen Kirche.

MAREN KOLSHORN, Frauen-Notruf Göttingen e.V.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen