„Unsicherheit erkennt man sofort“

Die Karriereberaterin Sabine Hertwig über die Kunst der Selbstvermarktung und den Unterschied zwischen Networking und Anschleimen. Unverändert gilt, dass zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Chemie stimmen muss

taz: Arbeitsmarktforscher prognostizieren, dass die Menschen künftig öfter im Leben ihren Job wechseln müssen. Haben es da jene leichter, die sich möglichst gut selbst verkaufen können?

Sabine Hertwig: Man landet heute nicht mehr mit 18 irgendwo im öffentlichen Dienst oder bei einem Großunternehmen und kommt heraus mit 60. Deswegen ist man öfter in einer Bewerbungssituation und damit werden Repräsentationselemente wichtiger.

Heißt das, das Fachliche zählt nicht mehr so viel?

Es reüssiert im Vorstellungsgespräch nicht immer derjenige, der die größere fachliche Kompetenz hat, sondern häufig derjenige, der die größere soziale Kompetenz hat. Das hängt aber auch damit zusammen, dass man heute vor allem Dienstleistungen verkauft. Deswegen spielt die Fähigkeit, zu Menschen Kontakt aufnehmen zu können, eine so große Rolle.

Es gibt Leute, die wirken eigenbrötlerisch. Haben die heutzutage schlechtere Karten?

Ich hatte in der Beratung mal einen Controller, der war etwa 45 Jahre alt und in zwei Unternehmen gescheitert, aber nicht wegen fachlicher Mängel. Der war ein kluger Kopf, hat sich aber immer schlecht präsentiert, der klassische Sündenbock. Es gibt einfach Menschen, die haben ein ganz schlechtes Habenkonto. Die repräsentieren sofort ihre Achillesferse, diese Unsicherheit erkennt man sofort. Manchmal sind diese Leute bissig, zickig, subaggressiv. So was ist fatal.

Kann man die Art des persönlichen Auftretens überhaupt nennenswert verändern?

Es ist doch so: Wenn ich nur wenig Selbstvertrauen habe, kann ich mich nicht öffnen. Und wenn ich mich nicht öffnen kann, werde ich eher ausgeschlossen. Das Selbstvertrauenskonto wird aber ganz früh angelegt, nicht erst im Beruf oder in der Ausbildung. Da liegt vielleicht eine gewisse Ungerechtigkeit. Aber wer da nicht so gut ausgestattet ist, kann schon was verbessern: durch Erfahrung, Feedback und Rollenspiele. Einfache Rezepte aber gibt es nicht.

Die sanfte Psychomasche in der Unternehmens- und Mitarbeiterführung ist auch eine Modeerscheinung. Hat die nicht letztlich zur Folge, dass Einzelgänger noch stärker ausgegrenzt werden als früher?

So kann man das nicht sagen. Es ist ja auch eine Chance, über Aspekte offen zu reden, die früher manche Menschen zu Verlierern gemacht haben. Im Übrigen galt doch auch schon früher der Leitsatz, dass letzlich die „Chemie stimmen muss“, damit jemand eingestellt wird und in einem Unternehmen vorankommt.

Trotzdem fällt die Umdeutung auf: Heute heißt zum Beispiel Networking, was man früher schlicht als Schleimen oder Anbiedern bezeichnet hätte.

Dieses Vorurteil kann ich verstehen, aber ich bin selbst ganz anderer Meinung. Dieses Vorstellung des „Anbiederns“ ist typisch für eine bestimmte Alters- und Gesellschaftsschicht in Deutschland. In den USA ist das ganz anders, da ist es normal, sich durch Networking einen Job an Land zu ziehen. Man muss sich immer klar machen, dass die Mächtigen ihre Machtpositionen auch durch Networking festigen. Es ist also ein Fehler, darauf zu verzichten. Deswegen rate ich meinen Klienten auch, auf Kongresse, Tagungen, Empfänge zu gehen, um berufliche Kontakte zu knüpfen. Wenn ich als Unternehmerin eine Stelle zu besetzen habe, ist es mir doch zehnmal lieber, ich habe schon dreimal mit jemandem nett geplaudert, als dass ich eine Stellenanzeige in die Zeitung setze und mir erst mal x Kandidaten anschauen muss. Die wichtigen Kontakte werden informell geknüpft.

In der neuen Ökonomie wurde das Rollenvorbild des selbstbewussten Jungunternehmers verbreitet. Mittlerweile heißt es, Berufserfahrung sei doch wichtig. Ist da was dran?

Es gibt eine komische Diskrepanz zwischen der Diskussion in den Medien, dass die Human Ressources einen eigenen Wert darstellen, und der Praxis. Da gibt es nämlich nach wie vor die Tendenz, sich gerade älterer Arbeitnehmer zu entledigen. Diese Diskussion über die Human Ressources halte ich daher für sehr theoretisch. Das muss noch in die Köpfe und in die Herzen und nicht nur auf dem Papier stehen. Dennoch, es ist richtig, dass nach den ernüchternden Erfahrungen in der neuen Ökonomie manche Mittelständler durchaus wieder die Vorteile von Berufserfahrenen schätzen.

INTERVIEW: BARBARA DRIBBUSCH