: Chronisch Kranke bald Lieblingskunden der Kassen
Krankheitsmanagement, das neue Wundermittel fürs Gesundheitssystem, steht vor der Tür. Nun beginnt in der Medizinindustrie Streit um den Profit
BERLIN taz ■ „Im März des letzten Jahres hatten wir noch 40 Mitarbeiter, bald werden es 300 sein“, freute sich Jörg-Peter Schröder. Der Geschäftsführer der Gesundheitsberatungsfirma Medvantis kennt auch den Grund für den Zuwachs: Die neuen „Disease-Management-Programme“ (DMPs), deren erstes am 1. Juli starten wird. Die koordinierte Behandlung chronisch kranker Patienten soll ein zentrales Problem der Gesundheitspolitik in der Bundesrepublik lösen helfen. Dass Krankenkassen lieber um junge gesunde Versicherte buhlen als um Menschen mit teuren chronischen Erkrankungen.
Wie die Disease-Managements-Programme genau aussehen sollen, ist allerdings unklar bis umstritten. Das zeigte sich auf dem Hauptstadtkongress „Medizin und Gesundheit“, der gestern zu Ende ging. Das jährliche Top-Ereignis der Medizinbranche zeigte, dass die Akteure – Kassen, Ärzte und Gesundheitsdienstleister wie Medvantis – bislang nur unzureichend Auskunft geben können über die neuen Programme. Gewinner scheinen zunächst vor allem Beratungsfirmen wie Medvantis sein.
20 Prozent Kranke sind 80 Prozent der Kosten
Über das Ziel des Krankheitsmanagements gibt es gar keinen Streit: Chroniker besser zu behandeln, um dadurch auf Dauer Geld zu sparen. Es sind die Patienten, die unter den Volkskrankheiten wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Problemen leiden, die den Kassen die größten Kosten verursachen: 20 Prozent der Versicherten brauchen 80 Prozent des Kassenetats – und der beträgt immerhin über 6 Prozent des deutschen Bruttosozialprodukts. Trotz seines teuren Gesundheitssystems geht das Land nicht gut mit seinen Chronikern um: Die Wahrscheinlichkeit, hier an einer der Volkskrankheiten zu sterben, ist wesentlich höher als in vielen Industrieländern.
Zuckerkrankheit, Diabetes, ist die erste der großen Volkskrankheiten, für die es ab dem 1. Juli DMPs geben soll. Anfang der Woche verkündete der Koodinierungsausschuss von Ärzten und Kassen, man habe sich auf die wesentlichen Punkte für ein Diabetes-DMP geeinigt. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) möchte bis Juli zwar mindestens auch für Brustkrebs eine besser koordinierte Behandlungsstrategie DMPs einrichten. Für die beiden teuren Volkskrankheiten der Herz-Kreislauf-Probleme und Asthma ist ein Programm gar nicht absehbar.
Was brächte das Disease-Management? Der Gesundheitsministerin schwebt vor, dass der Hausarzt und eine Patientenchipkarte die wichtigste Rolle spielen: Der Hausarzt weist dem DMP-Patienten den Weg durch den Gesundheitsdschungel. Die Chipkarte soll alle mit einem Patienten befassten Ärzte Informationen über die bisherige Behandlung und Medikamenten-Einstellung des Patienten versorgen. Doppeldiagnosen und Fehlinformationen von Arzneien werden so vermieden, der Patient wird billiger – und attraktiv für die Kasssen.
Die Koordination der DMPs liegt nämlich bei den Kassen, die dazu mit Dienstleistern wie Medvantis zusammenarbeiten. Dadurch, dass sie die Programme auflegen, haben die Kassen erstmals einen Anreiz bekommen, Chroniker zu versorgen: denn sie sollen pro DMP-Patient einen Extrazuschlag aus dem Risikostrukturausgleich, dem riesigen gemeinsamen Topf der gesetzlichen Krankenkassen, bekommen. „Wir rennen darum, jeden einschlägigen Patienten zu gewinnen“, erklärte Eckhard Schupeta freimütig, der Vizevorstandschef der Deutschen Angestellten-Kasse. Die große Ersatzkasse hat über 1 Million Versicherte, die unter einer der vier DMP-tauglichen Krankheiten leiden, davon etwa 270.000 Diabetiker.
Beim Thema „Und was machen eigentlich die Ärzte“ wich Schupeta aus: Deren Standesvertreter nämlich fühlen sich in der Planung der DMPs übergangen, Sie protestieren dagegen, dass Kassen und Dienstleister die medizinische Hoheit bekommen sollen. Vielleicht helfen den Kassen beim Arztkontakt ja die Erkenntnisse, die Medvantis-Sprecher Schröder über den idealen Patientenkontakt zu präsentieren hatte: Je nach Bedürfnislage, sagte Schröder, müsse man zur Motivation „Telefon, Briefe, Internet oder Fragebögen“ verwenden. Dies habe die Wissenschaft herausgefunden.
ULRIKE WINKELMANN
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