: Ausweitungen des Körpers
Experimentierfreudig und selbstironisch: Die Magpai Production Group und Victoria Hauke bei „feuer + flamme“ auf Kampnagel ■ Von Marga Wolff
Ein gepresster Schrei im kurzen Soundgewitter – der mediale Angriff auf die Sinne zeigt unmittelbare, impulsive Wirkung. Im Sog einer Rückwärtsschleife winden sich die zwei Tänzerinnen und die zwei Musiker der Magpai Production Group nach diesem vorpreschenden Auftakt erstmal wieder gen Nullpunkt.
„feuer + flamme“, Kampnagels neues Festival für Hamburger Künstler, begann mit der versprochenen Leidenschaft und wurde am ersten Abend vor allem seiner Konzeption als Theaterbaustelle gerecht. Medien sind Ausweitungen des Körpers, behaupten da die vier Magpai-Protagonisten und haben sich wie zum Beweis gleich das azurblaue T-Shirt von Kampnagels Hauptsponsor auf den Leib gezogen. Bis auf vier fahrbare Spiegelwände blieb die Kleidung das einzige Hilfsmittel ihrer in den Ring geworfenen Tanz- und Musikatta-cken, die dem Publikum von allen vier Seiten Ansichten ihres skizzenhaften Stücks DMT (ausgeschrieben bedeutete es in einer früheren Fassung Dangerous Modes of Transportation) boten.
Victoria Hauke und ihre beiden Mittänzerinnen tauchten dagegen in Pärk, der zweiten an diesem Abend gezeigten Produktion, tief ein in einen Dschungel aus Farben und Linien und suggestivem Klanggemisch. In Raster und Blasen werfenden Projektionen wurde ihr Körper regelrecht zum Spielball der Medien.
Tanz ist Kommunikation und macht das Anliegen von Vermittlung und Verständigung auch immer wieder gern zum Thema. Trinidad Martinez und Antje Pfundner von Magpai mischen Alltagsgesten in ihre abstrakten Bewegungssequenzen. Selbstvergessen wühlt Martinez sich in ihren dunklen Locken, spricht ein paar Sätze auf spanisch in den Raum, während Pfundner in beiläufiger Geste ihr Spiegelbild abschießt.
Immer wieder treffen sich die beiden in synchron getanzten, räumlich versetzten Episoden. Im Spiegel erscheinen sie mehrfach gebrochen zwischen Realität und Abbild. Reduziert spielt ihr Bewegungsmaterial mit Raum- und Bedeutungsebenen, beschleunigt und bricht dann wieder ab. Stimmig, allerdings noch wenig durchgearbeitet erscheint es, und etwas hölzern in der Darstellung. Außerdem könnte es deutlich mehr Reibung vertragen. Gegen das straffe Korsett der Musik kann sich der Tanz mitunter noch schwer behaupten. Von epischen Klanggebilden bis zu handfesten Rockrhythmen reicht hier das breit gefächerte und dabei klar gegliederte Repertoire. Beherzt bearbeitet dabei Oliver Sell sein Schlagzeug; Dayton Allemann greift dazu in die Tasten seines Keybords. Dann drückt Letzterer die Automatiktaste, Sell legt die Schlagstöcke beiseite, und alle vier gehen gleichmütig auf und ab, ganz so als hätte jemand den Bildschirmschoner angeschaltet.
Die Frische und Ironie, mit der DMT im Ansatz überzeugt, lässt Pärk noch stark vermissen. Bislang ist es kaum mehr als eine Materialsammlung, die Victoria Hauke zusammen mit der bildenden Künstlerin Katrin Bethge im Klangraum von Veit Kenner hier vorstellte. Doch kommt die Macht der Medien in diesem dominierenden Projekti-onsgebäude arg überhöht und fast verklärend daher. Ein Spiel mit undurchschaubaren Regeln wird hier geboten. Raster und Lichtkegel scheinen die Tänzer in vorgegebene Bahnen zu zwingen. Gegenseitige Manipulationen sind zudem Teil des tänzerischen Spiels. Immer wieder schlägt der Gong zur nächs-ten Runde, nehmen die Tänzerinnen Aufstellung zu neuen, virtuos verschlungenen Bewegungsbildern.
Experimentierfelder wurden hier aufgebaut, ganz entsprechend dem Anliegen von „feuer + flamme“. Tänzerisch war es ein beachtlicher Abend. So schlecht, wie lange Zeit angenommen, ist es um das Potenzial in der Stadt also nicht bestellt. Mit etwas mehr choreografischer und dramaturgischer Konsequenz öffnen sich da durchaus vielversprechende Perspektiven.
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