piwik no script img

berliner szenen WM-Ausflug nach London

Vor dem Spiel

Um kurz nach zehn fährt ein Mann auf einer Art Rasenmäher über die Fliesen der Abflugwartehalle des Flughafens Schönefeld. Der Reinigungs-Trecker sieht albern aus, wie ein zu groß geratenes Playmobil im latent depressiven Lärm der Klimaanlagen. Mürrischsein rules – das gelbe Buzz-Flugzeug, das jetzt eigentlich nach London fliegen sollte, hat arge Verspätung. Die Anzeige wechselt zwischen „erwartet“ und „new time: 0.20 Uhr“. Später wird das durch „delayed“ ersetzt. Alles wirkt dezent trostlos. Die wenigen, die noch hier sind, trinken Bier an Tischen. Ein kleiner Junge spielt mit einem kleinen Ball, ein Mädchen hat sich aus zwei Stühlen ein Bett gebaut und drückt einen weißen Teddy an sich. Im letzten Tatort war in dem Teddy eine Bombe drin.

Etwa zwölf Passagiere wollen nach London, um sich das Spiel gegen Argentinien an einem angemessenen Ort anzuschauen. Der Mann hinter der Mövenpickbar sagt genervt, er hätte jetzt Schluss und es gäbe nichts mehr. Der Automatenkaffee mit Kaffeeweißer erinnert an frühere Tramp-Touren und der Flughafen Schönefeld, in dem man nun schon zwei Stunden wartet, ist so ähnlich wie die Autobahnraststätte Nürnberg-Feucht, wo Tramper in namenlosen Gräbern verfaulen. Kinder plärren. Nun hat uns auch noch Moskau überholt. Das Flugzeug ist bunt. Wehmütig liegt Stanstead im Nebel um zwei Uhr. Der Bus fährt weg, als ich gerade das Ticket gekauft habe. Der türkische Minicabfahrer hatte sich 1990 ein Mauerstück aus Berlin mitgebracht, es aber später wieder verloren. In London hätte keine Regierung überlebt, wenn es die Fußball-WM nur im Pay-TV geben würde. Die meisten gucken dennoch öffentlich. Die Stadt liegt im Fieber. Die argentinischen Freunde warten. DETLEF KUHLBRODT

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen