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Das Recht auf einen Präsidentenmord

Schüsse vom Band: Stephen Sondheims und John Weidmans Musical „Attentäter“ in der Neuköllner Oper

Wo viele Präsidenten sind, gibt es auch viele Attentäter. „Jeder hat das Recht auf ein bisschen Gewalt“, singen sie, und schon klingen die Schüsse vom Band, und das nicht zu knapp. In der Neuköllner Oper wurde letzte Woche die jüngste Neuproduktion vorgestellt, das Musical „Attentäter“ von Stephen Sondheim und John Weidman. Sondheims Stück führt nicht weniger als zehn Menschen zusammen, Frauen wie Männer, die sich irgendwann einmal an der Tötung eines Präsidenten der Vereinigten Staaten versucht haben.

Lee Harvey Oswald ist darunter, der am 22. November 1963 auf Kennedy geschossen hat, oder Sara Jane Moore, die 1975 vergeblich versuchte, Gerald Ford zu ermorden. Sie alle eint ein freimütiges Bekenntnis: „Jeder hat das Recht auf Glück.“ Außerdem das Bedürfnis nach Rechtfertigung und eine ganze Kette von bizarren Eigenschaften: Giuseppe Zangara, der Roosevelt angriff, leidet an Bauchschmerzen, Lynette Fromme (Gerald-Ford-Attentäterin) mordet, damit ihr Guru Charles Manson ein bisschen Medienpräsenz im Zeugenstand entfalten kann. John W. Hickley schließlich liebt Jodie Foster, was er mit einem Schuss auf Ronald Reagan auszudrücken versucht.

Manche Attentäter bekommen in Neukölln viel Zeit, die Motivation für ihr Tun ruhig darzustellen und dabei genauer zu zeigen, wie Privates und Politisches sich auf fatale Weise mischen können. Julia Berger spricht einen beeindruckenden Monolog des Samuel Byck, der viel Lebenszeit damit verbrachte, Kassetten für berühmte Menschen zu besprechen, und dabei auch Leonard Bernstein dazu aufforderte, „die Opernkacke“ endlich zu vergessen. Bernsteins scharf-bösen Song über Amerika aus der „West Side Story“ setzt Sondheim, dessen ehemaliger Mitarbeiter, gleich anschließend an, und Berger kreischt ihn so, dass man nichts will als hier bleiben.

So viel Muße hat die Aufführung allerdings selten. Peter Lund (Regie), Neva Howard (Choreografie), Jürgen Kirner (Bühne) und Regina Schill (Kostüme) haben eine Welt geschaffen, in der das, was jenseits von Marotte und Pathologie liegt, nur selten aufscheint. Vielleicht liegt es am Stück selbst. Sondheim bringt es locker fertig, im Porträt des Charles Julius Guiteau, der sich 1881 an Präsident Garfield versuchte, die Moritat seines Lebens mit Guiteaus selbst verfasstem Gekrähe „I am going to the Lordie“ zu verknüpfen und ein gut gemeintes „Look on the bright side“ immer wieder mit hineinzuweben.

Die Wirkung aber, die in der Neuköllner Inszenierung von Frack und vornehmer Haltung dieses Charles Julius Guiteau ausgeht, erschöpft sich ebenso schnell wie die, die etwa ein schreiender Hippie oder ein verklemmter Pullunderträger ausstrahlen, und bald nach diesem Verfallszeitpunkt denkt man nur noch an Schülertheater.

Es liegt dies weniger an den Darstellern als an der Entscheidung, fast alle Figuren bis zur Karikatur zu überzeichnen und dabei Sondheims Befremdung vor den Landsleuten, seinen patriotischen Ekel niemals zu vergessen: Amerika, das Land, in dem alles möglich sein soll und in dem für manche überhaupt nichts geht. Von der landläufig angenommenen Munterkeit eines Musicals hat das Stück wenig, wie überhaupt die Musik oft ganz hinter dem Theater zurückzutreten scheint.

Dazu passt, dass auf der Neuköllner Bühne mehr geschrien wird als für gewöhnlich, und auch, dass die Begleit-Band unter Hans-Peter Kirchbergs Leitung sehr dezent agiert. Philippe Perotto an der Geige dürfte gerne strahlender und sauberer spielen. Vielleicht jedoch gehört auch diese Verweigerung eines blinzelnden Musical-Sound zu Sondheims ernsthaft-unernsthaftem Stück.

CHRISTIANE TEWINKEL

„Attentäter“, Neuköllner Oper, 20. bis 22. Juni, jeweils 20 Uhr, dann bis zum 21. Juli immer Do.–So.

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