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gerhard schröder, gesicht und herz aus leder von WIGLAF DROSTE

Kaum hatte die deutsche Fußballnationalmannschaft ihr erstes Vorrundenspiel gegen den Sparringspartner Saudi-Arabien acht zu null gewonnen, trötete das Springer-Blatt B.Z.: „Jetzt zittern ALLE vor uns … da ist wieder Respekt und Ehrfurcht!“ Da war er wieder, der deutsche Minderwertigkeitskomplex, als Kehrseite präsentiert: Diejenigen Deutschen, die nicht ganz zu Unrecht davon ausgehen, dass niemand sie leiden kann, nicht einmal sie sich selbst, wollen aus Rache dafür immerhin gefürchtet werden. Wer nicht rechtzeitig lernt, dass Respekt nichts mit Angst und Zittern zu tun hat, dem kann man es irgendwann nicht mehr beibringen; er ist für die Zivilisation verloren und bleibt eine atavistische Figur, beherrscht von Angst und triumphalen Racheträumen, in denen die anderen dafür gehasst werden, dass sie die anderen sind – also die Projektionsfläche des eigenen Selbsthasses.

Die Deutschen sind psychologisch gesehen eher öde, aber ethnologisch interessant. Wenn sie sich freuen wollen, müssen sie erst bei anderen nachkucken, wie das geht. Tausende Türken hatten demonstriert, was sie sich unter einer Party vorstellen: ins Auto steigen, hupen, Fahnen schwenken und brüllen, bis die Stimmbänder reißen; einer schrie sogar das Mikrofon eines Lautsprecherwagens kaputt. Schön war das nicht, aber die Deutschen waren sogar darauf neidisch und wollten das auch einmal haben: südländisches Wesen, Lebensfreude, was sie sich halt darunter vorstellen. Und so taten sie, was sie als Einziges wirklich können: sie simulierten. Verbissenen Gesichts spulten sie ihr Auto-ergo-sum-Programm ab und behaupteten todernst, sich jetzt richtig zu freuen. Es war so ausgelassen wie eine Konfirmation und so attraktiv wie ein Kuss von Peter Struck.

Dessen Chef der Idealvertreter aller Leblosen ist. Gerhard Schröder, Gesicht und Herz aus Leder, macht auch bei der Fußball-WM den Anhängewagen. Dass der Kanzler dem DFB-Teamchef per Mobiltelefon gratulierte und zum Endspiel nach Yokohama fliegt, wird in den Rang einer Nachricht erhoben. Journalisten werden aus extrem dehnbarem, gummiartigem Material hergestellt; die besten von ihnen sind bei Bild angestellt, dem Blatt, mit dessen Hilfe Gerhard Schröder Kanzler bleiben möchte. Wer seine Politik mit Bild-Chefredakteur Kai Dieckmann, diesem feucht gegelten dirty young Meinungsmacher, abstimmt, der kann auf Machterhalt hoffen – irgendwelchen Respekt hat er nicht zu erwarten.

Leder-Schröder, der seine Banalexistenz in den letzten vier Jahren so penetrant ventiliert hat, wie das Helmut Kohl in 16 Jahren nicht gelang, soll im Herbst bitte nicht wiederkommen. Um dabei mitzuhelfen, hätte ich mit einer lieben Gewohnheit gebrochen – und wäre einmal wählen gegangen. Es hätte mich schon interessiert, wie es sich anfühlt, Stoiber zu wählen. Und was macht Stoiber? Er schrödert – und kündigt an, ebenfalls zum Endspiel nach Japan zu reisen. Der Kanzler und der Kandidat: Dass diese beiden voneinander geklonten Grüßauguste Jürgen Möllemann ausgerechnet Populismus vorwerfen, wäre sogar noch ein bisschen widerlicher als das Gebaren Jürgen W. Möllemanns – wenn das ginge.

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