: Geplatzter Umzug nach Simplonien
Weil dem autonomen Wohnprojekt Rigaer Straße 94 die Räumung droht, vermittelt gar der Innensenator. Ein Ersatzobjekt ist schnell gefunden. Doch Nachbarn regen sich auf. Die Exbesetzer sehen sich verschaukelt. Nun steht alles wieder auf Anfang
von DANIEL SCHULZ
Verhandelt wird nicht mehr. Am Mittwoch ist das Ultimatum des Senats an die Rigaer Straße 94 verstrichen. Die ehemaligen Hausbesetzer werden nicht in das von der Landesregierung angebotene Ersatzhaus in der Friedrichshainer Simplonstraße 15/17 ziehen. „Schade, aber wir können niemandem zu seinem Glück zwingen“, sagt Ralf Hirsch von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. „Keine schöne Situation, aber der Senat hat die Verhandlungszeit nicht genutzt“, gibt Stefan vom Verein für Kommunikation und Kultur (VKK) zurück, der die Bewohner der Rigaer 94 vertritt.
In dem ehemals besetzten Haus hatte der Eigentümer die Räumung mehrerer Wohnungen für Ende Mai durchgesetzt. Drei Tage vor dem Termin bot der Senat den Exbesetzern das Haus in der Simplonstraße 15/17 als Ersatzdomizil an. Dieses sollte für 1,5 Millionen Euro entsprechend umgebaut und saniert werden.
Doch jetzt dräut dem Erdgeschoss der 94 bereits in den nächsten Tagen die Räumung, drei Wohnungen sind ab 31. August polizeilich zu entleben. Die Kontrahenten zeigen schon mal ihre Zähne. „Wir mobilisieren jetzt Unterstützer“, gibt sich Stefan kämpferisch. „Wenn die Rigaer Straße nicht am friedlichen Kompromiss interessiert ist, dann muss sie mit dem leben, was jetzt kommt“, schallt es aus der Senatsverwaltung zurück.
Dass es keine Einigung geben würde, war absehbar. Senat und Exbesetzer redeten ständig aneinander vorbei, die Bewohner der Simplonstraße wollten nicht mitspielen, und irgendwo dazwischen tauchte noch ein übel beleumundeter Hausbesitzer auf.
Nur am Anfang der Verhandlungen sah es gut aus. Die Rigaer waren grundsätzlich zum Umzug bereit, es gab sogar einen Rahmenmietvertrag für die Simplonstraße. Allerdings forderte der VKK, dass die bisherigen Mieter der Simplonstraße mit dem Umzug einverstanden sein müssten. Waren die aber zu großen Teilen nicht, viele wussten nicht einmal was vom Kommen der Kommunarden.
„Aus der Presse mussten wir davon erfahren“, ärgert sich auch Melanie Kabuß, Eigentümerin des Nachbarhauses Nummer 13. „Mietervertreibung ist das. Uns hat die Politik verarscht, keiner hat uns Bescheid gesagt“, legt Günter Liebers, Besitzer der Simplonstraße 16, nach. Und über 100 Anwohner unterschrieben gegen die Invasoren aus dem Nachbarkiez. Sie fürchten einen Kampf der Kulturen: Im autonomen Wohnprojekt ist das ganze Haus die Wohnung, alle Türen stehen offen, gegessen wird in Gemeinschaftsküchen und wichtige Entscheidungen trifft das Plenum. Punks und Menschen mit zerrissenen Hosen wurden gesichtet, und es soll gar in aller Öffentlichkeit Alkohol getrunken worden sein. Das Leben in der Simplonstraße beschreibt Hausbesitzer Liebers hingegen so: „Nach 50 Jahren Arbeit wollen die meisten Leute hier einfach ihre Ruhe haben. Das ist eine ruhige Wohnstraße.“
Dennoch hielt die Landesregierung an der Umsiedlung fest. Es gab ein Treffen mit Simplon-Mietern. „Da hat man uns Märchen erzählt, zum Beispiel, dass die neuen Leute ganz normale Hausbewohner sind“, sagt Mieter Jens Köster. Auch gegenüber dem VKK sollen Senat und Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg geflunkert haben. „Uns wurde versprochen, das Haus sei zu 99 Prozent leer und wir müssten niemanden vertreiben“, sagt Martin Schulz vom VKK. Dabei ist Objekt 15/17 zu 60 Prozent bewohnt. Petra Reetz, Sprecherin von Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) findet die Vorwürfe absurd: „Unsere Leute haben die Karten sofort auf den Tisch gelegt. Und seit wann dürfen die Bewohner eines Gebiets darüber entscheiden, wer bei ihnen wohnen darf. Wo kommen wir denn da hin?“ In die Simplonstraße jedenfalls nicht. Die Riga-Leute verweigerten den Umzug ins Feierabendparadies. „So wie wir nicht vertrieben werden wollen, so sollen auch die anderen nicht von uns vertrieben werden“, sagt Stefan vom VKK.
Hehre Worte, die allerdings selbst für den ehemaligen Hausbesetzer und jetzigen PDS-Abgeordneten Freke Over schwer nachzuvollziehen sind: „Die wohnen doch jetzt auch in der Nähe von normalen Mietern. Da ist sicher auch nicht jeder einverstanden.“ Over hatte ein Gespräch zwischen Innensenator Erhart Körting (SPD) und dem VKK vermittelt. Unter Körtings christdemokratischen Vorgängern wäre das undenkbar gewesen. Eine Einigung gab es aber nicht, Senat und Bezirksamt wurde es zu bunt. „Weiter können wir dem Wohnprojekt nicht entgegenkommen, wir haben alles getan, was wir können“, ärgert sich Bezirksbürgermeisterin Cornelia Reinauer (PDS). Der Umzug sei die einzige Option.
Dabei sehen die Simplonstraßenbewohner finstere Mächte am Werk. Weil der Fördertopf für soziale Stadterneuerung längst geschlossen ist, fragte die Interessengemeinschaft Simplonstraße nach der Geldquelle für die Sanierung von Nummer 15/17. Ein Hausbesitzer erklärt sich das so: „Der Besitzer von 15/17, Gijora Padovicz, ist quasi mit der Bezirksregierung liiert.“ Der Neid des zu kurz Gekommenen? Fakt ist: Padovicz ist nach Senatsangaben der größte private Eigentümer in Friedrichshain. Und ein Mitglied des Abgeordnetenhauses will wissen, dass der Großeigentümer fast die Hälfte aller Sanierungsgelder im Bezirk abgesahnt hat. Laut Mieter Echo, der Zeitschrift des Berliner Mietervereins, ist Padovicz schon wegen „großer Unterstützung aus Senatskreisen“ aufgefallen.
„Durch die Förderung hätte eine Konfliktsituation vermieden werden können, wir haben den Fonds nicht für Padovicz wieder aufgemacht“, entgegnet Jochen Hucke von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Zudem sei Padovicz der einzige Hausbesitzer, der die Exbesetzer bei sich wohnen lassen wollte. In der Tat, nicht einmal die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain wollte die ungewöhnlichen Mieter.
Im Senat sieht man nun schwarz für das Wohnprojekt. „Ich fürchte, das ist in seiner jetzigen Form gestorben“, sagt Ralf Hirsch. „Denn erstens haben wir kein anderes Haus, und zweitens wird es ein solches Angebot nicht noch einmal geben.“ Bedepperte Gesichter aller Orten.
Einzig Eigentümer Padovicz kann sich freuen. Die Sanierung seines Hauses wird trotz der geplatzten Autonomenansiedlung gefördert. „Weil die Kosten nun einmal für dieses Haus berechnet wurden“, begründet Strieders Sprecherin Petra Reetz. Padovicz selbst war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
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