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Berlin ist eine Messe wert

Im Ringen um die Wiederwahl inszeniert die Bundesregierung ein Hochamt für das Hartz-Papier – ausgerechnet in einer protestantischen Kirche

aus Berlin ULRIKE HERRMANN

„Ein neuer Geist“ soll in Deutschland wehen, „mehr Gemeinsinn“ soll es geben. Das war gestern das Wort zum Freitag von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Er hat sie satt, diese ewige dissonante Krittelei. Dieses Meckern an Details, „dieses Reden, über das, was nicht geht“.

Gerhard Schröder hielt diese Predigt an die Nation, weil ihm gestern Morgen der Hartz-Bericht übergeben wurde. 343 Seiten ist er stark.

Dreizehn „Innovationsmodule“ beschreiben, wie sich für zwei Millionen Arbeitslose ein Job beschaffen ließe. Vielleicht ein etwas ehrgeiziger Ansatz? Nicht für den Bundeskanzler. Gerhard Schröder sah gestern keinen Grund, „die Formulierung der Ziele in Zweifel zu ziehen“. Er will das Konzept „so umsetzen, wie es vorliegt“.

Der Kommissionsvorsitzende Peter Hartz versicherte, diese Zahl von zwei Millionen neuen Jobs sei „pragmatisch gerechnet“. Vielleicht sei sogar mehr möglich – denn Arbeitsplätze im Osten sind noch nicht berücksichtigt.

Aber das könne nur gelingen, wenn sich alle sechs Millionen „Profis der Nation“ in einem „Commitment“ verpflichten, die Zahl der Arbeitslosen zu halbieren. Zu diesen Profis zählen zum Beispiel 53.000 Pfarrer, 1,7 Millionen Unternehmer, aber auch 545.000 Vereine. Hartz geriet ins Schwärmen: „Stellen Sie sich vor, jeder Verein in Deutschland würde die Patenschaft für einen Arbeitslosen übernehmen.“

Hartz sagte, seine Pläne benötigten keine Anschubfinanzierung. Schließlich habe man ja Ressourcen: „100.000 tüchtige Mitarbeiter sowie 100 Milliarden Euro jährlich.“ Auf den Finanzminister der nächsten Regierung könnten schöne Zeiten zukommen: Hartz versprach, dass sich jährlich 19,5 Milliarden Euro einsparen ließen. Jedenfalls ab dem Jahr 2005.

Diese angepeilte Gesellschaft der Profis war zumindest gestern eine „geschlossene Gesellschaft“. So stand es schwarz auf weiß an der schweren Eichentür des Französischen Doms in Berlin. Dort durfte sich am Nachmittag ein ausgewählter Kreis von 500 Profis von Hartz und Arbeitsminister Walter Riester genauer erläutern lassen, welche Aufgaben auf sie zukommen.

Allerdings war nicht jeder Profi gekommen. Die FDP „boykottierte“, und die Union wurde nicht gesichtet. Die Chefs der Arbeitgeber- und Unternehmerverbände hatten erst angekündigt, nicht zu erscheinen – und schickten dann doch die zweite Garde ihrer Vertreter.

Hartz gab sich gelassen angesichts dieses Streiks der Profis. Es sei sowieso zu voll im Dom, man habe sogar Absagen verschicken müssen. „Da ist es gut, wenn die CDU nur im Internet mitliest.“ Doch intern räumte er ein, die Absagen hätten ihn „vom Stuhl gehauen“.

Im Dom selbst ging’s zu wie bei einer Messe. Vielleicht lag es nur am hohen ovalen Rund der Kirche. Doch Arbeitsminister Riester wirkte wie ein Pastor, als er von „Momenten“ sprach, „die uns über das normale Maß fordern“. Wieder war gemeint: Zusammenstehen. Nicht „zerquatschen, zerkauen, zerreden“. In Zeiten der Arbeitslosigkeit gibt es nur noch Deutsche.

Allerdings wurde gestern deutlich, dass sich nicht jeder daran halten will. DGB-Chef Michael Sommer kündigte bereits „Kritik an Einzelpunkten“ an. Die Kritik der Arbeitgeber kam fundamentaler daher: Die Vorschläge blieben „weit hinter den notwendigen Reformen zurück“. Unionschefin Angela Merkel hingegen wiederholte sich: Der Hartz-Bericht sei „ein Dokument des Versagens der Bundesregierung“. Und so wird es wohl nichts mit dem Wunsch von Peter Hartz, alle mit seiner „Begeisterung anzustecken“.

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