Einmal di Lasso Überland

Bußpsalmen mit Knabenstimmen: In Norden spielte die Musicalische Compagney die alten Lasso-Werke

Die Musik des vor 470 Jahren im belgischen Mons geborenen Renaissance-Komponisten Orlando di Lasso ist selten zu hören: Sie ist als Musik der Gegenreformation für den heutigen Menschen einfach weit weg, und sie ist ungemein schwer zu realisieren. Besucht man ein Lasso-Konzert des Musikfestes, kann man fast sicher sein, in Bezug auf Interpretation ,,das Richtige“ geboten zu bekommen. Und so war es auch in dem Konzert, das von allen Überlandkonzerten am weitesten weg lag.

In der wunderbaren gotischen Ludgeri-Kirche in Norden spielten die Musicalische Compagney unter der Leitung von Holger Eichhorn und der Tölzer Knabenchor unter der Leitung von Gerhard Schmidt-Gaden „Bußpsalmen“ aus einem Gesamtwerk von über zweitausend Titeln, die der ab 1556 am bayerischen Hof tätige Komponist hinterließ.

Da ist einmal der Umgang mit dem noch freien Rhythmus, der aus der Sprache entwickelt ist. Es war perfekt, wie die beiden Ensembles das lebendige Sprechen einfingen. Da ist die wunderbare, fließende Polyphonie, auf deren Grundlage sich expressive Madrigalismen, also musikalische Bilder, durchsetzen. Das, was dann im Barock seine stärkste Ausprägung findet, beginnt hier schon, in der ebenso klangschönen wie meditativen Wiedergabe durch die InterpretInnen sehr dezent herausgearbeitet.

Mit den Knabenstimmen ist es so eine Sache: einerseits fantastisch und ergreifend, andererseits fehlt natürlich Zehnjährigen – früher lag der Stimmbuch eben erheblich später – jegliche Erfahrung mit den Texten: „kein Friede in meinem Gebeinen vor meiner Sünde“ muss der Alt singen. Gleichzeitig entsteht aus genau diesem Problem eine unnachahmliche Spannung.

Durch den permanenten Wechsel von chorischem Tutti und kleineren Solobesetzungen, unterstützt durch die ungemein fein artikulierenden Instrumentalisten, entstand vielleicht einer der schönsten Abende im diesjährigen Musikfest, ein Abend, der den Wunsch aufkommen ließ, dass das Musikfest wieder zu einem Fachfestival für Alte Musik werde. Denn solche Interpretation macht hörbar, was an der Musik zeitlos ist: ihre werkhafte Geschlossenheit nicht nur durch die konsequente Verwendung der Kirchentonarten, ihre Klarheit, ihre Vielschichtigkeit und ihre Räumlichkeit.

Ute Schalz-Laurenze