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Zwieback im Wachsmantel

Mit neuer Aura: Der Künstler H. N. Semjon verkauft in seiner Ladengalerie Lebens- und Haushaltsmittel, nachdem er sie mit Wachs überzogen und dadurch konserviert hat. Das Ziel ist die Unvergänglichkeit: „Ich schreibe den Waren Ewigkeit ein“

von RICHARD RABENSAAT

Weiß, die Dinge in dem Laden von H. N. Semjon sind weiß. Die Wände, die ordentlich lackierten, glänzenden Regale, die Tresen und auch die ausgestellten Waren, alles erstrahlt hell und makellos. Die Pralinenschachteln, Haferflocken- und Waschmittelpackungen und all die anderen Dinge, die es in jedem Supermarkt zu kaufen gibt, sind von einer durchscheinend-milchigen Wachsschicht ummantelt. Ganz gewöhnliche Lebens- und Haushaltsmittel erfahren bei H. N. Semjon ihre museale Veredelung. Die Mutation der alltäglichen Gebrauchswaren zum mit erheblichem Mehrwert gehandelten Kunstprodukt vollzieht der Künstler in einem mühevollen Handwerksprozess. Wachs soll den gewandelten Produkten eine neue Aura verleihen.

Mit dem Material hantierte bereits Beuys. Aber Semjon nutzt es anders: „Beuys, der hat ja das schmutzige, verunreinigte Bienenwachs für seine Sachen genommen.“ Dagegen nimmt Semjon gebleichtes und gereinigtes Wachs. In der Schröderstraße in Berlin-Mitte hat er einen Laden in Räumen eröffnet, die auch schon vorher ein Lebensmittelgeschäft beherbergten. Aber die Waren sind für den täglichen Konsum viel zu teuer. „Beim Verkauf bin ich kein Demokrat“, gibt Semjon freimütig zu. Wer zufällig in das Geschäft stolpert, wird kaum eine eingewachste Haribo-Tüte für 1.600 Euro kaufen. Seine Käufer sucht der Künstler eher auf der Artforum-Messe, auf der er mit einem Sonderstand vertreten ist.

Noch beschränkt sich die Auswahl auf 40 Produkte, aber hunderte sollen es werden. Deshalb hat Semjon ein großes Lager für den erwarteten Zuwachs gebaut. Das Feld, das der Meisterschüler von Georg Baselitz mit seinem „Kioskshop“ besetzt, hat vor ihm wohl noch niemand ähnlich intensiv beackert. Es gibt zwar andere Künstler, die mit Alltagsgegenständen gearbeitet haben, Claes Oldenburg etwa baute Schreibmaschinen, Stühle und Hemden aus Gummi oder grober Leinwand nach. Das so verwandelte Objekt bot er ebenfalls in einem angemieteten Ladengeschäft an. Aber Semjons Zielrichtung ist eine andere. Ihm geht es um die Unvergänglichkeit. Daher auch das Wachs: „Unversehrte, 4.000 Jahre alte Wachsfiguren hat man schon gefunden. Mit meiner Konservierung erhalten die Sachen eine Reinheit. Ich schreibe ihnen die Ewigkeit ein.“

Tatsächlich betreibt Semjon eine Art zeitgenössischer Archäologie. „Die Brandt-Zwiebacktüte dort gibt es gar nicht mehr“, sagt er, als er auf ein Regal zeigt. Gleiches wird er wohl in den nächsten Jahren auch von anderen Gegenständen sagen können. Denn der Shop wurde von Semjon auf Dauer angelegt, ein Ende der Aktion ist nicht vorgesehen. So friert er nach eigenem Bekunden den Status quo der real existierenden Warenwelt ein und schafft dabei ein Ensemble wirklich hübsch anzusehender Multiples. Bei denen verschwindet der reale Gebrauchswert hinter der indifferenten Erscheinung: Die Gegenstände werden entrückt, erhalten eine fast transzendente Dimension.

Anders als Warhol, der seine Suppendosen einfach per Siebdruck vervielfachte, ist jeder Gegenstand in Semjons Laden ein Einzelstück: „Meine Autorenschaft bei der Herstellung ist mir wichtig.“ So entsteht ein Ensemble, das irgendwo zwischen Museum und Kiezladen angesiedelt ist. Beim Betreten des Ladens drängt sich unwillkürlich die Assoziation an eine Apotheke auf, so steril und ordentlich sind die Schränke und Glasvitrinen. Das liegt nicht nur an der wohl generell ordentlichen Natur des talentierten Handwerkes Semjon, sondern hat auch inhaltliche Gründe. „Das sieht hier alles so aus wie in Amerika“, erklärt der Künstler, der häufig zwischen Berlin und New York pendelt. Mit der Art der Präsentation will er deshalb eine Warenästhetik vorwegnehmen, von der er annimmt, das sie sich bald auch in Europa verbreiten wird.

Da der Laden sich jedoch wirtschaftlich rechnen soll und noch kein Massenandrang auf die veredelte Alltagskultur eingesetzt hat, gibt es Billigprodukte. In einem Einkaufswagen stapeln sich Mineralwasserflaschen, die der Künstler beim Verkauf signiert. Eine ähnliche Idee hatte auch Beuys, als er seinen Namen auf holzgezimmerte Orangenkisten schrieb und sie für fünf Mark mit der Prophezeiung verkaufte: „Die werden einmal viel Geld wert sein.“ Der Mann mit dem Filzhut hatte Recht.

Kioskshop, Di.–Fr. 17–19 Sa. 14–16 Uhr; Schröderstr. 1 (Tel. 7 84 12 91)

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