: off-kino Filme aus dem Archiv –frisch gesichtet
Eine kreischende Frau in Großaufnahme, ihre blonden Locken füllen das Bild. Schnitt auf die Leuchtreklame einer Show: „To-Night Golden Curls“. Schließlich: die Tote in der Nähe des Themse-Ufers. Ein Polizist verhört eine Zeugin, ein Reporter macht Notizen, Schaulustige gaffen. Der Journalist gibt seine Erkenntnisse an eine Nachrichtenagentur, ein Ticker verbreitet die Nachricht weiter: Ein Serienkiller, der sich selbst „The Avenger“ nennt und bereits sieben Blondinen umgebracht hat, hat erneut zugeschlagen. Die Mädchen der Golden-Curls-Show machen sich Sorgen, ebenso die Mannequins einer Modenschau.
Zu den Mannequins gehört auch Daisy, die weibliche Hauptfigur des Films. Als sie nach Hause kommt, geht die Geschichte richtig los: Ihre Eltern haben einen mysteriösen Untermieter aufgenommen. So beginnt „The Lodger“ (1926), nach Bekunden von Sir Alfred der „erste richtige Hitchcock-Film“, in dem sich bereits die unvergleichliche Fähigkeit des Regisseurs, das Publikum emotional am Geschehen zu beteiligen, und sein stetes Bemühen um eine möglichst visuelle Ausdrucksweise widerspiegeln. Die berühmteste Einstellung des Films entspringt denn auch dem Wunsch, den fehlenden Ton zu visualisieren: Als der Kronleuchter des Vermieterehepaares plötzlich aus ungeklärter Ursache zu schaukeln beginnt, kann man plötzlich durch die Decke sehen. Durch einen dicken Glasfußboden fotografiert, erkennt man die Ursache: den Mieter, der in seinem Zimmer nervös auf und ab geht. Erstmals führt Hitchcock in „The Lodger“ auch das Motiv des unschuldig Verfolgten ein: In einem packenden Finale bleibt der fälschlich als Killer verdächtigte mysteriöse „Mieter“ auf der Flucht mit seinen Handschellen an einem Eisengitter hängen und wird beinahe von einem wütenden Mob gelyncht. Allerdings ging es Hitchcock in „The Lodger“ weniger um Suspense als um das Legen falscher Fährten. Hitchcock inszeniert den geheimnisvollen Mieter in jeder Hinsicht, als sei er der Täter: Nicht nur, dass er exakt der Beschreibung entspricht, er verlangt auch, dass die Bilder blonder Mädchen in seinem Zimmer abgehängt werden, und geht genau in jener Nacht aus, in der die nächste Frau ermordet wird. Jede harmlose Geste des Mieters wirkt bedrohlich: sein Griff nach dem Schürhaken, während er mit Daisy Schach spielt, oder sein Langen nach dem Türgriff des Badezimmers, während Daisy gerade badet. So gibt es bis zur Auflösung des Geheimnisses dann auch nur einen durch Parallelmontage entstehenden klassischen Suspense-Moment: Während die Vermieterin das Zimmer des mutmaßlichen Killers nach Beweisstücken durchsucht, sieht man diesen langsam nach Hause zurückkehren.
Das Filmkunsthaus Babylon zeigt das frühe Meisterwerk mit einer eigens neu komponierten Musik von Peter Gotthardt, die unter seiner Leitung mit Musikern des Tonfilm-Orchesters-Berlin am 29. September uraufgeführt wird.
„The Lodger – A Story Of The London Fog“ 29. 9. im Filmkunsthaus Babylon 1
***
Nächstenliebe und warum sie nicht funktioniert, erotische Obsessionen, Hypokrisie – bei Luis Buñuel geht es wieder einmal um Kirche und Bourgeoisie. „Viridiana“ (1961) markierte nach langen Jahren des Exils in Mexiko Buñuels vorübergehende Rückkehr nach Spanien, doch glücklich wurden die Franco-Offiziellen mit dem Film nicht: ein Kuckucksei. Da ergeht sich ein Großgrundbesitzer in nekrophilen Anwandlungen und begeht, als die Nichte – eine Klosternovizin, die er seiner verstorbenen Frau angleichen möchte – seinen Antrag empört zurückweist, prompt Selbstmord. Auf des Onkels Gut richtet Viridiana nunmehr ein Armenasyl ein, doch ihre Mildtätigkeit verändert die Welt auch nicht: Die Bettler nutzen die Gelegenheit und feiern eine wilde Orgie – Buñuel inszeniert sie wie Jesus und seine Jünger auf Leonardos berühmtem Abendmahl-Gemälde. Am Schluss steht die völlige Desillusionierung: Die ziemlich derangierte „heilige“ Viridiana spielt Karten, dazu erklingt Rock-’n’-Roll-Musik.
„Viridiana“ 27. 9. im Arsenal 2
***
Ein kleiner Querschnitt aus dem Schaffen des Produzenten Albert Broccoli; drei James-Bond-Filme aus verschiedenen Jahrzehnten: von Sean Connerys amüsanter Macho-Männlichkeit in „Goldfinger“ über die Ironie und den größeren technischen Aufwand der Roger-Moore-Ära bis zur Farblosigkeit eines Pierce Brosnan in einem eher durchschnittlichen Abenteuerfilm.
James Bond 007: „Goldfinger“ 30. 9., 2. 10.; „In tödlicher Mission“, „Goldeneye“ 1. 10. im Filmmuseum Potsdam
LARS PENNING
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen