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Vertontes vertanzt, Getanztes gemalt

Das Paula Modersohn-Becker Museum übt sich im Pas de Deux: Seine Ausstellung über die Sacharoffs ist ein spannender Exkurs in Kunst- und Tanzgeschichte. Im Mittelpunkt: Die Entdeckung des Ausdruckstanzens, gerne barfuß, und dessen Darstellung durch die Künstler des „Blauen Reiters“

Jüdisch, schwul, betont androgyne Ausstrahlung, der weltweit erste Solotänzer (ohne Ensemble): Alexander Sacharoff war ein Skandal. Zumindest für das Münchener Publikum der 1910er Jahre. Die progressive Szene der Stadt allerdings war fasziniert von diesem Mann, schnell wurde er Mitglied ihrer Gemeinschaft „Blauer Reiter“. Jetzt ist ihm und seiner Frau Clotilde eine Ausstellung im Paula Modersohn-Becker Museum gewidmet.

Damit hat sich das Haus ein reichhaltiges Sujet gesucht. Denn Sacharoff war am „Blauen Reiter“ vielfältig beteiligt: Als Maler, Modell, Freund und Tänzer. Also ein idealer Partner für Kandinskys „synästhetische“ Ideen. Der Russe ließ Bilder durch befreundete Komponisten in Töne umsetzen, zu denen Alexander Sacharoff dann spontane Improvisationen oder Choreografien entwickelte – die „vertonten Bilder“ also „vertanzte“, wie die Beteiligten formulierten. Schon zuvor hatte sich Sacharoff an Vorbildern orientiert: Seine ersten Schritte als Tänzer imitierten Darstellungen auf antiken griechischen Vasen.

Gleichzeitig mit Sacharoff tauchte in Gestalt von Clotilde v. Derp eine 17-jährige Tänzerin in München auf, die durch eine bis dahin unbekannte Art von „Ausdruckstanz“ Aufsehen erregt – etliche Jahre vor Mary Wigman. 1919 heirateten Clotilde und Alexander – eine wegen Sacharoffs Homosexualität notwendigerweise platonische Beziehung, die künstlerisch um so produktiver war. Bis zu Alexanders Tod 1963 arbeiteten die beiden sehr eng zusammen, die Tourneen führten sie um die ganze Welt.

Die Zahl von Clotildes Verehrern stand der ihres Mannes nicht nach, was wiederum zu beachtlicher Kunstproduktion führte: Georg Kolbe und Hermann Haller ließen sich zu Plastiken inspirieren, Rainer Maria Rilke ist in der Bremer Ausstellung mit Huldigungsgedichten vertreten.

Von Clotilde existieren sogar kurze Filmsequenzen aus den späten 30er Jahren. Die allerdings werden in Bremen nicht zu sehen sein, da sie als unrepräsentativ gelten. Denn: Die Tänzerin, damals schon deutlich über 40 Jahre alt, vermittle auf den Filmschnipseln einen ganz anderen Eindruck als durch die Fotografien, Bilder und Beschreibungen aus ihrer besten Zeit.

Sei‘s drum. Die AusstellungsmacherInnen haben auch so eine sehr beachtliche Menge an Material zusammengetragen, das meiste ist erstmals zusammen gekommen – und rückt Einiges in‘s rechte Licht, was den KatalogmacherInnen der Bremer „Reiter“-Ausstellung vor drei Jahren noch unbekannt war.

Einen Extraraum nimmt die eigene Kunstsammlung der Sacharoffs ein, darunter natürlich etliche Werke der „Blaue Reiter“-Gruppe. Wesentlich beteiligt an Recherche und Konzeption war das Deutsche Tanzarchiv in Köln, das vor drei Jahren einen wichtigen Teil des verstreuten Sacharoff-Nachlasses erworben hat. In dessen Räumen soll die Ausstellung als nächste Station zu sehen sein, anschließend dann in der Villa Stuck in München. Dort, in München, wäre ja auch der naheliegendste Ort für diese Schau, aber das Lenbachhaus, das in Besitz einiger der wichtigsten Sacharoff-Darstellungen ist, war für das Projekt anscheinend nicht zu begeistern.

Warum jetzt also Bremen? Am hier angesiedelten Deutschen Tanzfilminstitut liegt es nicht, sondern an der Person von Rainer Stamm, dem Direktor des Paula Modersohn-Becker Museums. Schon bevor er 2000 in Bremen begann, hatte er die Sacharoff-Idee im Kopf – nun hat er sie in der Böttcherstraße als sehr beachtenswerte Ausstellung umgesetzt.

Und es gibt sogar einen kleinen historischen Bezug der Sacharoffs in den Norden: 1914 war ein Gastspiel des Tänzerpaares am Bremer Theater geplant, die Vorankündigungen schon gedruckt – da verhinderte der Beginn des Ersten Weltkrieges die Tournee. Verständlicherweise – denn in die Kategorie der „kulturellen Wehrertüchtigung“, der sich damals zahlreiche, auch prominente KünstlerInnen unterordneten, passten die Sacharoffs nun überhaupt nicht. Nicht mal an der „Heimatfront“. HB

Die Ausstellung wird am Sonntag um 11.30 Uhr mit Musik des Zeitgenossen Thomas v. Hartmann und von Debussy eröffnet und läuft bis zum 1. Dezember. Die Öffnungszeiten des Paula Modersohn-Becker Museums in der Böttcherstraße: Dienstag bis Sonntag von 11 bis 18 Uhr. Jeden Sonntag um 11.30 Uhr finden öffentliche Führungen statt. Der opulente Katalog kostet 38 Euro

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