Schnell wie der Wind

Olympiasiegerin Naoko Takahashi will am Sonntag beim Berlin-Marathon ihren Weltrekordlauf vom Vorjahr wiederholen. Das würde ihre Popularität in Japan ins Unermessliche steigern

aus Berlin MARKUS VÖLKER

Ein blaues Band mäandert derzeit durch die Stadt. Es führt über Brücken, Plätze, Magistralen und wer ihm folgt, wird einige Qualen erleiden. Die Markierung endet nach 42,195 Kilometern. Das blaue Band des langen Leidens markiert die Strecke des diesjährigen Berlin-Marathons. Naoko Takahashi wird sich recht genau an die Farbvorgabe der Veranstalter halten, denn jedes Abweichen würde Zeit und Kraft kosten. Die kleine, nur 163 Zentimeter große und 47 Kilo schwere Japanerin darf aber keine Sekunde verschenken, will sie ihr Ziel, wie im Vorjahr Weltrekord zu laufen, am Sonntag wiederholen.

Die zierliche Langstreckenläuferin war die gefeierte Frau, als sie zum ersten Mal in der Geschichte des Marathons unter der Zeit von 2:20 Stunden blieb. Ausgerechnet auf dem Ku’damm fegte die 30-Jährige mit Leichtigkeit durch die Schallmauer, als durchschreite sie nur eine papierne Wand. Die Uhr stoppte bei 2:19:46. Der Rekord blieb ihr allerdings nicht lang erhalten. Schon eine Woche später riss ihn die Kenianerin Catherine Ndereba in Chicago mit 2:18:47 an sich. Auch Paula Radcliffe war im Frühjahr in London schneller. Bei ihrem Debüt rannte die Britin die zweitschnellste Zeit, die eine Frau erreichte: 2:18:56.

Naoko Takahashi wird sich also ranhalten müssen, um die Evolution der Zeiten fortzuführen. Angekündigt hat sie ihn, den Rekordlauf, doch baute sie in ihre Prognose ein paar Klauseln ein, die ihre zahlreichen japanischen Fans genau studieren sollten. „Ich fühle mich sehr gut, die Kondition ist wie geplant“, sagte sie am Donnerstag, „allerdings war ich verletzt und weiß selbst nicht genau, wie schnell ich bei dem Rennen laufen kann.“ Ihr Trainer Yoshio Koide formulierte es noch vorsichtiger: „Wir haben uns nur drei Monate auf Berlin vorbereiten können.“ Zwei weniger als 2001. „Sie ist zwar gut in Form, aber ich glaube nicht, dass sie zurzeit die Basis für einen neuen Weltrekord hat“, schockfrostete er die warmen Bitten Nippons um einen Rekord. Er, Koide, habe natürlich eine Zeit im Kopf, wolle sie aber nicht preisgeben. Schon jetzt platzt halb Japan vor Ungeduld, ob Koides Geheimnis einem wunderbaren Weltrekord entspricht. Gut 50 Millionen werden den Lauf per TV verfolgen.

Im vergangenen Jahr übertrugen gleich zwei Sender direkt. Fuji TV kam auf 36 Prozent Einschaltquote, Nippon TV auf 26,5. Die Tageszeitungen machten tags drauf zum Teil halbseitig mit Takahashi auf. Das größte Blatt, Yumiuri Shimbun, lobte sie als „Inspiration für die Nation“. Außerdem sei sie, liebevoll „Q-chan“ geheißen, der größte Bestseller seit Erfindung der Instant-Nudelsuppe. Das Land liegt ihr schon seit dem Olympiasieg in Sydney zu Füßen. Sponsoren stehen Schlange. Ministerpräsident Koizumi ehrte sie mit dem Orden für „besondere Verdienste gewöhnlicher Bürger“. Ihre Memoiren mit dem poetischen Titel „Der Tag, an dem ich zu Wind wurde“ verkauften sich fast 80.000-mal. Die instruktive Lauffibel von Trainer Koide („Du kannst es schaffen!“) wurde sogar verfilmt und zu bester Sendezeit ausgestrahlt. Alt und Jung identifizieren sich mit Takahashi, den einen imponiert ihre Zähigkeit, den anderen gefällt’s, dass sie japanischen Pop hört und sich gern mit Accessoires europäischer Edeldesigner schmückt.

Das Rennen am Sonntag ist ihr erster Marathon seit einem Jahr. Aus zwei Gründen: Sie hat längst ausgesorgt und muss nicht jeder Gewinnsumme nachhecheln. Zudem plagte sie sich mit einer Fußverletzung herum, weswegen sie auf einen Start beim Frühjahrsmarathon in Rotterdam verzichtete. Sie, die sich in ihrem Umfeld Koch und Physiotherapeut, Arzt und drei Trainer leistet und auf das Wundermittel „Vespa“ schwört, gewonnen aus den Magensäften der Gemeinen Gelben Hornisse, hat die letzten Monate in Boulder (Colorado) im Höhentrainingslager verbracht. Am Fuße der Rocky Mountains, hat Coach Koide schließlich verraten, habe sie ihre Fitness wiedergefunden. Und am Ende des blauen Bandes, dass sie gegen 13.20 Uhr erreichen sollte, werde Japan bestimmt sehr stolz auf sie sein, versprach er.