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Die andere Klavierstunde

Beethoven über dem Broadway: Die Soul-Debütantin Alicia Keys überbrückt alle Gräben und gab bei ihrer Konzertpremiere in Berlin eine Kostprobe ihres schier überbordenden Selbstbewusstseins

von DANIEL BAX

Selbst ist die Frau: Gerade noch hat Alicia Keys auf ihrem Keyboard mit hämmerndem Akkord die Prince-Ballade „How Come You Don’t Call Me No More?“ angestimmt und sich gefragt, warum ihr Telefon seit Tagen schon still steht. Allerdings nicht weinerlich leidend wie eine sitzengelassene Geliebte. Eher schon resolut fordernd wie eine Frau, die es gar nicht leiden kann, wenn ihr Freund mal nicht pariert. Solchermaßen gestimmt, tritt sie in die erleuchtete Telefonzelle, die am Bühnenrand steht, und wählt laut vernehmlich eine Nummer. „Hallo?“, meldet sich eine männliche Stimme. Doch Alicia Keys antwortet nicht, sondern knallt nur kurzerhand den Hörer in die Gabel.

Gründe für ungebrochenes Selbstbewusstsein besitzt die erst 21-jährige Sängerin ja zur Genüge: Mehrere Millionen Male hat sich ihr Debütalbum „Songs in A Minor“ bis heute verkauft, in diesem Jahr wurde sie dafür von der Branche bei der Grammy-Verleihung mit Auszeichnungen überschüttet wie vor ihr zuletzt nur Lauryn Hill. Wie diese ist Alicia Keys ein schwarzer Star, der gerade auch bei einem vornehmlich weißen Publikum Anklang findet. Und sie hat das Zeug zum generationenverbindenden Crossover-Liebling, weil sie auf die Gunst eines jugendlichen Fanpublikums bauen kann, ohne durch allzu viele Teenie-Attitüden notgedrungen ältere Musikhörer abzuschrecken: Ein Star für die ganze Familie sozusagen.

So sieht man denn auch zu ihrer Konzertpremiere in Berlin im Hallenrund des Tempodroms doch zahlreiche Mütter in Begleitung ihrer noch minderjährigen Töchter. Auch finden sich auffällig viele Mädchen in der Menge, die sich im leicht exzentrischen Alicia-Keys-Look versuchen – mal mit auffälligen Hüten oder Mützen, mal mit Piratenkopftuch und Rastazöpfchen und manchmal auch mit einer Kombination aus alledem. Und außerdem sind natürlich viele Pärchen gekommen, um sich zu dramatischen Pianoballaden wie „Fallin’“ in Umarmungen zu schmiegen.

Diesen ihren bislang größten Hit allerdings hob sich Alicia Keys für das Ende ihres Konzerts auf. Und wer sich von ihr eine intime Klavierstunde erwartet hatte, dürfte enttäuscht worden sein. Mit Beethoven-Brimborium („Da-Da-Da-Damm“ – der Anfang der fünften Sinfonie) wirkte schon der Auftakt ihres Konzerts wie die Ouvertüre einer Broadway-Show, und die vielköpfige Band sowie drei Backgroundsänger schienen einzig dazu da zu sein, der jungen Soul-Debütantin bei der ausgiebigen Selbstfeier zur Seite zu stehen. Gerne sonnte diese sich im Scheinwerferlicht, schritt mit gespreizten Armen stolzierend zu ihrem Instrument, ließ sich von einer Tänzerin umspringen oder schlängelte sich um ihren Mikrofonständer. Die meisten Klavierkonzerte sehen anders aus.

Alicia Keys ist deutlich bemüht, gar nicht erst das Bild der introvertierten Klavierkünstlerin aufkommen zu lassen, sondern sucht bewusst den Schulterschluss mit HipHop und R ’n’ B. Schon im Vorfeld ihres Auftritts ließ sie sich deswegen von einem DJ und einem MC das Feld bereiten, die mit einem Old-School-Medley an die Toten des Genres erinnerte, von Aaliyah bis Easy E.. Dabei knüpft Alicia Keys eigentlich eher an ältere Stränge der afroamerikanischen Tradition an, ist mit ihren Anleihen bei Jazz und Klassik näher bei einer Nina Simone oder einer Roberta Flack und an den Siebzigern, an der Zeit vor HipHop also.

An deren Ästhetik erinnerte jedenfalls, als im Hintergrund ein kitschiger Sternenhimmel mit Mond zu funkeln begann, während Alicia Keys am Flügel mit ihrem Song „A Women’s Worth“ über die Wertschätzung des Weiblichen sinnierte. „A real man knows a real woman when he sees her“, lauten dessen Zeilen. Dazu lächelten die richtigen Frauen im Publikum wissend, und die richtigen Männer freuten sich. Um Alicia Keys muss man sich ohnehin keine Sorgen machen: Dass sie sich ihres eigenen Werts bewusst ist, demonstrierte sie recht eindrücklich.

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