: berliner szene Im Foto-Fachgeschäft
Reparaturen
Auch jüngere Menschen klagen neuerdings gerne über das Leben in der viel gescholtenen Wegwerfgesellschaft. Gegenseitig erzählen sie sich von Armbanduhren oder elektrischen Kleingeräten, die nach Jahren liebevollen Gebrauchs ihren Geist aufgegeben haben und nun von keinem Geschäft mehr angenommen werden: „So etwas repariert Ihnen niemand mehr.“ Glücklich durfte sich darum der junge Mann schätzen, der in einem Foto-Fachgeschäft im Prenzlauer Berg eine leicht verkratzte Spiegelreflexkamera entgegennahm. „Tadellos“ funktioniere der Apparat wieder, stellte der Mann fest, nur eines verstehe er nicht – warum er ihn hier und nicht in der Filiale an der Friedrichstraße habe abholen müssen. „Pleite“, sagte der Verkäufer, der mit Anfang dreißig kaum älter war als sein Kunde: „Wir machen hier nur den Restverkauf.“ Im Übrigen könne er aus diesem Grund auch die Gebühr, die der Kunde für den Kostenvoranschlag entrichtet hatte, nicht auf den Preis für die Reparaturarbeiten anrechnen: „Ich gebe Ihnen gerne die Nummer des Insolvenzverwalters, da können Sie Ihre Forderungen geltend machen.“
Zunächst verwirrt, dann vehement bestand der junge Mann auf seinen 35 Euro. Das sei nicht wenig Geld, belehrte er den Verkäufer, der daraufhin die Stimme erhob. Auf solche Einlassungen könne er gerne verzichten: „Ich arbeite seit zwei Monaten ohne Gehalt.“ Zornesrot zog er schließlich die 35 Euro von der Rechnung ab, und doppelt beschämt zückte der Kunde sein Portemonnaie. Einen Moment lang lag der Fotoapparat wie ein tröstlicher Gedanke zwischen den beiden jungen Männern: Wenn alles andere in die Brüche geht, hält man sich besser an die letzten Dinge, die sich noch reparieren lassen.
KOLJA MENSING
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