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Ankunft in Rot

Was vom Leben ohne Geschichten bleibt, tanzt die Cie. Limnaios mit „outre vie“ im Theater am Halleschen Ufer

Der Körper denkt immer mit. Nein, der Körper ist verräterisch, und wenn der Denkende mit seinen Gedanken nicht ganz eins ist, dann sieht man das. Bevor sich auch nur einer bewegt in Toula Limnaios neuem Stück „outre vie“, rollt als Prolog ein Gedicht von Samuel Beckett über die Leinwand: „das übel geschah eines tages, als ich ausging, im schlepp meiner füße, die zum gehen bestimmt sind, zum schrittemachen, die ich habe gehen lassen, die mich hierher geschleppt haben.“ Die Zuschauer, die ihre Füße ins Theater am Halleschen Ufer geschleppt haben, wappnen sich innerlich.

Denn mit Texten von Beckett hat die Choreografin schon einmal gearbeitet und alle Energien auf der Bühne erstmal auf null gefahren. Diesmal aber ist alles anders. „outre vie“ ist ein farbig intensives Stück. Die fünf Tänzer und Tänzerinnen und die Violinistin tragen Kleider und Hemden in leuchtenden Farben. Die Leinwand im Hintergrund nimmt diese Farben auf und leuchtet rot und gelb. Das Geigenspiel von Lenka Zupkova wird in den Computer eingespeist und vervielfacht sich zum Echo. Kein Detail bleibt unbeantwortet an diesem Abend. „outre vie“ erzählt vom Aufgehobensein.

Das Abschneiden von allen Haltepunkten des Ich, auf den der Prolog zusteuert, taucht dennoch in der Choreografie wieder auf. Oft passiert das anekdotisch: Aus einem großen Spektrum von Verlegenheiten und misslichen Situationen entwickeln sich oft witzige Bewegungen. Das erinnert mehr als die bisherigen Stücke von Toula Limnaios an die Klassiker des Tanztheaters, die soziale Verhaltensweisen stilisierten.

Aber vor allem greift die Verunsicherung tief hinein in den Stil der Bewegung, den Aufbau der Energie: in einem oft kleinteiligen und präzisen Wechsel von spannungslosen Zuständen, von Körpern und Gliedern ohne eigenen Halt, zu Momenten voller Kraft und energischen Impulsen. Das ist zwar ein Wechselspiel, das viele Choreografien prägt, sozusagen die Basis der Spannung. Die Aufladung vor der Folie der Texte Becketts belegt die schönen Tanzsequenzen mit einer Bedeutung, die nicht zwingend ist. Manchmal wirkt dieser inhaltliche Anspruch vermessen – dann aber wieder versteht man, warum Limnaios ihre schön verschlungenen Bewegungsmuster mit Beckett abstützt. „es ist keine geschichte erforderlich, eine geschichte ist nicht unerlässlich, nur ein leben“ – und Leben, mehrere sogar, sind ohne Zweifel in ihren Choreografien verwoben.

KATRIN BETTINA MÜLLER

Im Theater am Halleschen Ufer, vom 23. bis 27. 10, jeweils 20 Uhr.

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