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Erst die Flut, dann der Fön

Er wäscht, schneidet, fönt und färbt für einen guten Zweck: Noch bis Ende November arbeitet „Friseur Mischa“ für Familie Guttowski aus Pirna, deren Haus das Hochwasser zerstörte

Familie Guttowski aus Pirna-Zuschendorf wäre ärmer, gäbe es nicht die Langeweile. Die nämlich plagte Mucahit Bligic, weshalb er, zu Besuch bei seinem Schwager, dessen Bild durchblätterte und Bilder von der Flut, von den Menschen und ihren zerstörten Häusern sah. Da kam dem Bremer die Idee: Frisieren für Flutopfer.

Mucahit Bligic ist Friseur. Gemeinsam mit seiner Schwester Sabiha Komar firmiert er als „Friseur Mischa“ in einer kleinen Straße im Zentrum, Damenhaarschnitt 36 Euro, Herren 16, und wäscht, schneidet, färbt und fönt bremische Köpfe. Einmal im Jahr für einen guten Zweck. Vor zwei Jahren hat er damit begonnen, hat den Preis für sein Können Kindern in der Türkei zukommen lassen, deren Eltern beim Erdbeben im Sommer zuvor ums Leben gekommen waren. 19.000 Mark hat er damals erschnitten - den Wochenendverdienst eines halben Jahres. Jetzt sind die Guttowskis dran.

Die Regeln sind einfach und effektiv. Wer der vierköpfigen Familie helfen will, lässt sich bei Mischa einen Termin geben, lässt sich von Mucahit Bligic - „ich sehe sofort, was geschnitten werden muss“ - beraten und behandeln und zahlt so viel, wie er für richtig hält. 40 oder 50 Euro gäben die meisten, erzählt der Haarwerker, Abzocker gebe es unter den Damen mittleren Alters - sie sind es vor allem, die als Spenderinnen kommen - kaum. „Einmal kam eine Frau, ließ sich eine neue Frisur machen und gab dann 20 Euro“, erzählt Bligic und kichert, „und ich konnte nichts machen.“ Drei Wochen später habe die Kundin erneut kommen wollen. „Da hatte ich dann keinen Termin mehr frei.“

Die Aktion läuft noch bis Ende November. 2.000 bis 3.000 Euro hofft „Mischa“ jetzt für die Guttowskis zu erarbeiten. Das Wasser hat ihr Haus zerstört, nun leben sie „in einer in einem Lagerraum eingerichteten Notwohnung“, weiß der Friseur, der mit seinem Wunsch zu helfen einfach bei der Dresdner Bild-Redaktion aufgelaufen war, die dann den Kontakt zu den Zuschendorfern vermittelte.

Mucahit Bligic selbst war noch nie in Dresden oder gar Pirna. Vielleicht ist er es bald: Er überlegt, ob er das gesammelte Geld den Guttowskis selbst übergibt. Aber eigentlich, sagt er, hat er gar keine Zeit. „Viel Arbeit.“ Denn der Mann ist nicht nur Friseur, er bildet auch andere Friseure aus, er ist auf Fortbildungen unterwegs und er macht Haarkunst fürs Fockemuseum, steckt Locken hoch wie einst im 19. Jahrhundert oder gestaltet die eigentümliche Strenge der 60-er Jahre.

Und zwischendurch immer wieder das Tagesgeschäft an der Haar-Basis. Auch im nächsten Jahr wird er wieder für einen guten Zweck schneiden. Diesmal könnte Mucahit Bligic dann zum guten Engel für Bildungssenator Willi Lemke werden. Denn dann widmet er seine humanitäre Aktion, so überlegt er, “vielleicht den Bremer Schulen. Denen soll es doch so schlecht gehen.“

sgi

Friseur „Mischa“, Ostertorswallstraße 66/67, 0421/323963, www.mischa-hairdressing.de

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