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Großzügig

betr.: „Ein neuer Historikerstreit“ (Rothfels’ faschistische Geschichtskonzeption), taz vom 29.10.2002

Der ungenannt bleibende Autor des redaktionellen „Kastens“, mit dem die taz den Artikel „Vordenker des deutschen Großreiches“ von Karl-Heinz Roth einführt, muss ein großzügiger Mensch sein.

Großzügig ist zunächst einmal sein (und Roths) Faschismusbegriff – so großzügig wie der von Josef Stalin, für den bekanntlich das faschistische Spektrum bei der Sozialdemokratie, den „Sozialfaschisten“, begann. In diesem Sinn muss natürlich ein Konservativer wie der Historiker Hans Rothfels erst recht ein Faschist gewesen sein. Wenn man das richtige Bewusstsein hat, stellen sich die richtigen Begriffe von selbst ein.

Großzügig ist auch der Umgang des Autors mit historischen Quellen. Ich habe in zwei Aufsätzen in den „Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte“ (2001, Heft 3, und 2002, Heft 4) nachgewiesen, dass der Historiker Ingo Haar in seiner Dissertation „Historiker im Nationalsozialismus“ Rothfels zu Unrecht vorwirft, er habe sich in einer Rundfunkansprache nach Hitlers „Machtübernahme“ vorbehaltlos auf den Boden des neuen Regimes gestellt. Das von Haar als Schlüsseldokument behandelte Manuskript stammt nicht aus der Zeit nach dem 30. Januar 1933, sondern aus dem Herbst 1929. Haar macht aus einem Lob für den „ersten Präsidenten des Reiches“, also den Sozialdemokraten Friedrich Ebert, eine Laudatio auf seinen Nachfolger Paul von Hindenburg und aus einer Verbeugung vor diesem einen Kotau vor Hitler.

Für den anonymen Autor des Editorials sind meine quellenkritischen Einwände „seltsame Haarspaltereien“. Wo käme man auch hin, wenn man im Kampf gegen „Rothfels’ faschistische Geschichtskonzeption“ auch noch Gebote der historischen Quellenkritik und der intellektuellen Redlichkeit beachten müsste. Damit würde man sich ja dem Diktat der bürgerlichen Klassenwissenschaft beugen. Und was bliebe auf der Strecke? Die gute alte Parole von 1929 „Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft!“ Den Fall, dass die, die man trifft, gar keine Faschisten sind, kann man ruhig ausschließen. Jedenfalls dann, wenn man sich, wie der Anonymus und der von ihm eingeführte Autor Karl-Heinz Roth, an die seit vielen Jahrzehnten bewährte Devise hält: „Was ein Faschist ist, bestimmen wir.“ HEINRICH AUGUST WINKLER, Lehrstuhl für

Neueste Geschichte, Humboldt-Universität zu Berlin

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