: Selbstmörder leben gefährlich
Wolf Haas präsentierte im LCB Häppchen aus seinem siebten, noch unveröffentlichten Brenner-Krimi
„Jetzt ist schon wieder was passiert.“ Auch der neue Krimi aus der Feder des österreichischen Erfolgsautors Wolf Haas beginnt mit dem den Lesern bereits bestens bekannten Satz. In der Puntigamer Landesnervenklinik Sigmund Freud wacht ein Patient nach drei Wochen aus dem Koma auf. Es ist niemand anders als der Expolizist Brenner selbst, der erfährt, dass er mit einem Kopfschuss in das Krankenhaus eingeliefert wurde.
Diagnose der Ärtze: versuchter Suizid. Brenner mag das nicht glauben: „Selbstmord? Ich war’s nicht!“ Mühsam versucht der von den Toten Auferstandene, sein Gedächtnis wiederzuerlangen und den Grund für die Kugel im Kopf herauszufinden. Einen Verdacht hegt er bereits: Der Polizeichef von Graz hat mit ihm noch eine alte Rechnung zu begleichen. Zumindest ist klar: Brenner lebt gefährlich.
Tja, kann gut sein. Denn Brenners neuer Fall ist nach dem Willen des Autors zumindest vorläufig der letzte für den eigenwilligen Grazer Privatdetektiv. Nach fünf erfolgreichen Folgen hat der 1960 in Maria Alm geborene Haas vom Krimigenre erst einmal die Nase voll. Im Literarischen Colloquium am Wannsee gab es am Wochenende zum ersten Mal eine Kostprobe des Abschlussbandes, der erst Anfang 2003 unter dem Titel „Ewiges Leben“ erscheinen wird.
Ewiges Leben!? Wird Brenner am Ende doch nicht sterben? Und überhaupt: Welches Genre käme für Wolf Haas sonst noch in Frage? Der Literaturkritiker Andreas Ammer und der Germanist Moritz Baßler nahmen den Gast aus der Alpenrepublik zur Klärung dieser und anderer Sachverhalte ins Kreuzverhör. Zunächst wurde nach dem Tatmotiv gefahndet: Warum schreibt ein Autor eigentlich Krimis?
Für Haas ist der Fall klar: Das sei weniger verkrampft als ein konventioneller Roman. Vor allem was die Reaktion der literarischen Öffentlichkeit betrifft. „Einen Krimi schreiben, das ist so, wie wenn bei einem Fußballspiel der gegnerischen Mannschaft schon ein paar Leute fehlen – die Kritiker nämlich.“ Für Kritiker Ammer liegt der Österreicher damit voll im Trend – im gesamten Kulturbereich sei eine Art Kriminalisierung im Gang. Jeder Film und jedes Buch schmücke sich mittlerweile mit mindestens einem Mordfall.
Auch Haas selbst ist von der Vermischung von High und Low Culture voll überzeugt: „Ich habe mir neulich beim Schreiben sogar mit dem Kugelschreiber das Wort ‚Pulp‘ auf die Hand geschrieben.“ Doch Haas-Leser wissen: Am wichtigsten ist nicht die Leiche, sondern die Sprache. Brenners Fälle werden im lockeren Thekenparlando präsentiert, wozu gehört, dass der Leser gnadenlos geduzt wird.
„Jetzt pass auf“: Das kommt nicht nur, weil Haas Linguist und Werbetexter ist. Es gibt einen biografischen Hintergrund. Haas’ Eltern haben früher eine Gastwirtschaft betrieben. So konnte der spätere Sprachkünstler als junger Mensch oft den seltsamen Gesprächen der Stammtischbrüder lauschen. „Man glaubt immer, Sprache habe mit Inhalt zu tun – das stimmt aber gar nicht“, weiß Haas somit aus Erfahrung. „Oft ist es vor allem nur Sprache, insbesondere bei wachsendem Alkoholkonsum.“
Zum besonderen Haas-Feeling gehören aber genauso merkwürdige Ellipsen und Nominalsätze, getreu dem Motto des Erzählers: „Lange Sätze immer gefährlich.“ Doch auch kurze Sätze können es in sich haben. Am Ende des Abends wurde die Frage aufgetischt, was denn nach den Brenner-Krimis kommt: ein Versepos? Ein Porno? Ein Western? Haas’ knappe Antwort dürfte Kritikern und Germanisten schon im Voraus eine Gänsehaut bescheren: „Keine schlechte Idee.“ ANSGAR WARNER
Eine Aufzeichnung der Lesung sendet der Deutschlandfunk auf UKW 97,7 am 30. 11. 2002 um 20.05 Uhr
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