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Köpfe wern rollen

„Leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen mitzuteilen … (Sie sind gefeuert!)“: Der britische Schriftsteller Graham Lord verfolgt den Niedergang eines Angestellten

Peter Hallam lebt im Paradies der englischen Mittelschicht: Er ist leitender Angestellter, hat eine Familie, ein Häuschen mit Garten und nette Nachbarn. Doch dann bekommt seine Firma einen neuen Geschäftsführer. Er heißt Jason Skudder, und es geht das Gerücht, dass er alle Mitarbeiter, die 45 Jahre oder älter sind, entlassen will. Und Peter Hallam ist 45 alt.

„Leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen mitzuteilen … (Sie sind gefeuert!)“ heißt dieser Roman des englischen Schriftstellers und Journalisten Graham Lord. Er beschreibt den Existenzkampf eines Büromenschen, dessen Erfahrungswissen aus der Thatcher-Zeit stammt. Peter Hallam ist höflich, angepasst und hält sichere Arbeitsverträge für selbstverständlich. Doch die New Economy ist auf dem Vormarsch. Jungdynamische Führungskräfte, die wissen, dass sie ihren Job meist nur ein paar Monate machen, setzen neue Maßstäbe. „Wenn ihr nich mal langsam aufhört rumzueiern und endlich in die verfickten Gänge kommt, wern ein paar Köpfe rollen, das versprech ich euch“, erklärt Jason Skudder seinen neuen Mitarbeitern und Untergebenen: „Es gibt hier zu viele verdammt blinde Passagiere, zu viele faule Arschlöcher, die sich mit durchfressen.“

It’s a different class. Dass Hallam es mit einem Paranoiker von niederer sozialer Herkunft zu tun bekommen würde, übersteigt seine schlimmsten Befürchtungen. Langjährige Mitarbeiter werden vom Wachdienst aus der Firma eskortiert, Telefone werden abgehört und Hallam wird einen leicht dementer Mitarbeiter an die Seite gesetzt, der nach Dienstschluss im Auftrag Skudders seinen Papierkorb durchwühlt. Es wirkt. Am Rande eines Nervenzusammenbruchs verlässt Hallam die Firma, was ihn auch noch um seine verdiente Abfindung bringt: „Kostengünstige Entsorgung eines Gruftis“, nennt Skudder das.

Die Charaktere sind stark überzeichnet. Lord hat sich Typen ausgedacht, nicht Menschen: Skudder zum Beispiel muss natürlich einen Kahlkopf haben, denn so sehen englische Bösewichte nun mal aus. Satirisch vereinfachend geht es dann in der Handlung weiter. Die gemeine Sachbearbeiterin auf dem Arbeitsamt spielt mit Hallam Erniedrigungsspielchen, und der jungblasierte Mitarbeiter der „Millennium-Bank“, „Mr. Dean Carsh“, der ganz offensichtlich ein „r“ zu viel im Nachnamen hat, droht mit der Pfändung seines Hauses.

Als Hallam schließlich tatsächlich in eine heruntergekommene Mietswohnung ziehen muss, ist er ganz unten – nicht mal die Möbelpacker wollen ein Trinkgeld annehmen. Doch von nun an geht in ihm eine merkwürdige Wandlung vor. Aus dem erfolgsverwöhnten Angestellten der Thatcher-Ära wird ein Gerechtigkeitsfanatiker, der einfühlsame Blicke auf seine Umwelt wirft. Hinter den Fenstern der Mietshäuser erkennt er auf einmal eine traurige Wirklichkeit: „Wir sind nur moderne Höhlenmenschen.“ In den Fahrgästen der U-Bahn erblickt er am frühen Morgen „Schweine auf dem Weg zum Schlachthaus“, und wenn er sich erinnert, wie Skudder seine Mitarbeiter behandelt hat, zieht sich sein Herz zusammen.

Mit einem Bekannten aus der Firma entwirft Hallam einen Rachefeldzug, an dessen Ende nicht nur die unsauberen Machenschaften von Skudder und einigen skrupellosen Bankern aufgedeckt werden: Graham Lords Roman, der als Satire begonnen hat, endet als allzu moralisches Lehrstück. MATTHIAS ECHTERHAGEN

Graham Lord: „Leider sehen wir uns gezwungen, Ihnen mitzuteilen … (Sie sind gefeuert!)“ Aus dem Englischen von Miriam Carbe. Gert Haffmans bei Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2002, 414 S, 16,90 €

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