: Mythos im Ausverkauf
Melancholischer Abschied am Trödeltisch: Weil der Tresor an der Leipziger Straße schließt, verkaufte der Berliner Ur-Techno-Club auf einem Flohmarkt die Restbestände an Platten, CDs und T-Shirts
von TILMAN BAUMGÄRTEL
Ein paar Tische mit Kisten voller Platten, einige Schachteln voller CDs, eine DJ-Tasche, die an der Wand hängt – viel war es nicht, was am Mittwochabend in der Aurora-Bar des Tresors zu besichtigen war. Aber als um 8 Uhr abends die Tür geöffnet wurde, stand trotzdem schon eine Schlange mit fünfzig Leuten in der eiskalten Nacht und wartete auf Einlass. Denn an diesem Abend wurden hier in der Leipziger Straße die Lagerbestände des Tresors verkauft. Der Berliner Traditionsclub, in dem seit 1991 Techno gespielt wird, macht am 15. Januar zu. Wenn sich die Neubaupläne noch hinziehen, kann es auch ein paar Wochen länger gehen, aber die Nächte des Oldtimers unter den Berliner Clubs sind endgültig gezählt.
Das Tresor-Label, das seit einem guten Jahrzehnt deutschen und internationalen Techno verlegt, arbeitet weiter. Aber weil im Büro des Tresors nun einige Arbeitsplätze wegfallen, zieht die Verwaltung aus der Schlesischen Straße in die Wrangelstraße, und darum muss nun alles raus. Die letzten Tresor-T-Shirts sind nach einer halben Stunde ausverkauft. Auch die Plattenstöße werden schnell kleiner, denn viele der Maxis und LPs kann man hier zum letzten Mal bekommen. 3 Euro kosten das Vinyl und die CDs, für ausgewählte Raritäten wie „Sonic Destroyer“ von Underground Resistance oder „Rings of Saturn“ von Jeff Mills, von denen nur noch fünf Exemplare übrig sind, muss man 15 Euro hinlegen. Sogar ein Tresor-Puzzle, das jemand im Büro entdeckt hat, findet schnell einen Käufer.
Die Szene in der Aurora-Bar wirkt etwas melancholisch. „Uns blutet schon das Herz“, sagt Nico und lehnt sich auf seinem Stuhl hinter dem Plattentisch zurück. Er ist für das Tresor-Merchandising zuständig und sagt von sich selbst, dass er „im Tresor aufgewachsen“ sei. Und nun muss er die Reste, die den Umzug nicht mehr mitmachen sollen, an die hartgesottenen Fans, die heute ausnahmsweise schon am frühen Abend gekommen sind, verkaufen. Auch wenn Tresor-Chef Dimitri Hegemann einen neuen Ort für den Tresor finden sollte – „die Lokalität hier ist einmalig“, sagt Nico. Selbst wenn, wie es gerüchteweise heißt, der Tresorraum im Keller, der dem Club den Namen gab, ausgebaut und woanders wieder aufgestellt wird – den Ort, in dem in Berlin Techno durchgesetzt wurde, kann das für ihn nicht ersetzen.
„Unser Lager zieht um – alles muss raus! Tresor-Raritäten zu Sonderpreisen. Get your X-mas presents now!“, steht auf dem Tresor-Flyer. Aber nach Weihnachtsgeschenken sucht hier niemand, sondern eher nach Teilhabe. Nach Teilhabe an den ekstatischen Nächten, die es im Tresor immer noch gibt. Nach einer Reihe von dürren Jahren ist es im Tresor in den letzten Monaten noch einmal so voll und so wild geworden wie zu den besten Zeiten. Viele der Stamm-DJs aus gut elf Jahren kommen noch einmal nach Berlin, um ihren letzten Set in der Club-Legende zu spielen: Patrick Pulsinger, Thomas P. Heckmann, Sieg über die Sonne, Kotai, Tom Clark, Sender Berlin sind im November und Dezember gebucht – und es wird gemunkelt, dass die Detroiter Techno-Legende Jeff Mills darum gebeten hat, bei der Abschlussparty im Tresor-Keller auflegen zu dürfen.
Olli steht neben einem der Plattenspieler, eine Köpfhörermuschel auf dem Ohr, die anderen am Hinterkopf, und senkt die Nadel des Tonarms kurz auf eine Platte von Juan Atkins, nimmt sie wieder ab, senkt sie ein Stück weiter hinten wieder herunter. Der Tresor ist für ihn „ein Mythos“, er kommt jeden Mittwoch, wenn junge und unbekannte DJs hier ihr Debüt geben. Es sei der einzige Club in Berlin, in dem „Japaner und Arbeitslose, Schüler und Dragqueens“ zusammen feiern.
Wo er in Zukunft nachts hingehen wird, wenn der Tresor zumacht, weiß er noch nicht. Vielleicht ins Subground im Pfefferberg, vielleicht ins Polar.TV, vielleicht ins Casino. „Das Casino ist schlecht geworden“, wendet Matthes ein, der neben ihm steht. „Da sind viele Leute, die Stress machen wollen.“ Ihm tut es jetzt Leid, sagt er, dass er nicht öfter in den Tresor gekommen sei.
Eine begrenzte Anzahl von Tresor-T-Shirts kann man noch über die Website www.tresorberlin.de kaufen. Anfang Dezember soll es noch einmal einen Flohmarkt geben.
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