Wider die große Leere

Rupprecht Matthies‘ „Sprachzylinder“ werden heute auf dem Platz zwischen den Deichtorhallen eingeweiht

Sie wirken immer ein bisschen wie Relikte einer anderen Zeit: riesige öffentliche Plätze, die – aus irgendeinem stadtplanerischen Versehen heraus – als fast archaische raumgestalterische Elemente die Großstadt zieren: mühsam vernarbte Erinnerung an jene arkadischen Ären, in denen Freiräume Vorrang vor lückenloser Bebauung hatten. Und vielleicht ist es das, was Plätze, die eine bestimmte Größe überschreiten, immer ein bisschen beunruhigend macht: die Tatsache, dass sich schwer entscheiden lässt, ob sie trennend oder verbindend wirken. Unklar bleibt, welche Funktion man solchen Raum-Getümen im Stadtgefüge zuordnen soll und ob sich der Überschreiter dort pflichtschuldigst behaglich oder unwohl zu fühlen hat.

Live zu durchleiden ist all dies auf dem Areal zwischen Nord- und Südgebäude der Deichtorhallen, wo Geborgenheit nur zögerlich aufkommt und man sich – besonders, wenn in Eile – eher wie ein stecknadelkopf-großes Menschlein inmitten des riesigen Universums fühlt.

Und doch muss etwas unter der Leere liegen, die der Platz suggeriert, dachte der Hamburger Künstler Rupprecht Matthies, der bereits in mehreren Städten öffentliche Kunstwerke schuf und der stets großen Wert auf die Mitwirkung der Anwohner legt. Passanten, „Nutzer“ des Platzes zwischen den Deichtorhallen hat er deshalb befragt, hat Gedanken und Gefühle in Bezug auf den just überquerten Platz abgerufen. Worte wie „öffentlich rumlungern“, „Hirnachterbahn“ und „Spaßkritik“ sind dabei herausgekommen – teils kryptische Antworten, die Matthies verdichtet hat: zu zwei „Sprachzylindern“, die bunt gewebte, graffiti-artige Schriftzüge aus Passantengedanken tragen.

Am heutigen sechsten Tag der Kunstmeile sollen die korrespondierenden Säulen eingeweiht werden, die je einen Ist- und einen Soll-Zustand beschreiben: exemplarischer Output dessen, was dieser Platz provoziert. Und wenn auch größere Umbauten weder zu erwarten noch intendiert sind, nistet doch ein Hauch von Utopie in der sauberen Ist- und Soll-Einteilung, als habe der Künstler einen scheuen platzgestalterischen Wegweiser einbauen wollen. PETRA SCHELLEN

Einweihung der beiden „Sprachzylinder“: Sonnabend, 9. November, 15 Uhr auf dem Platz vor den Deichtorhallen