: Von innen heraus
Peter Gülke und die Bremer Philharmoniker präsentierten ein Wolf-Brahms-Schumann-Programm in der Glocke
Das letzte Philharmonische Konzert zeigte wieder einmal sehr deutlich, wie wichtig gut aus- und nachgedachte Programme sind. Mit Werken von Johannes Brahms (1876), der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine noch an Beethoven orientierte Ästhetik und Kompositionstechnik vertrat, von Hugo Wolf (1885), der auf der Seite der „Neudeutschen“ unter dem Einfluss von Liszt und Wagner jegliche klassischen Gesetze über den Haufen warf, und von Robert Schumann (1854), der – grob gesagt – die beiden konträren Positionen in seinem Werk vereinigt, gewann die auf beiden Seiten hocherregte ästhetische Kontroverse an Leben: ein hochinteressantes Stück Musikgeschichte, dessen Folgen noch im zwanzigsten Jahrhundert zu spüren sind.
Brahms‘ Verunsicherung, nach Beethoven noch Sinfonien zu komponieren, fließt ein in die Struktur seines Werkes, eine Tatsache, die der Gastdirigent Peter Gülke mit dem Orchester geradezu sensationell herausarbeitete. Das berühmte Apotheosenthema des letzten Satzes: lange vorher ist es da, bis es wirklich auftritt. Wie Gülke die auswendig dirigierte Partitur eben nicht „gelernt“ präsentierte, sondern über die Logik der Brahms‘schen Kompositionstechnik total verfügte, sie in jedem Augenblick von innen heraus entwickelte, gehörte zu den beglückenden Momenten dieses Konzertes.
Und Brahms‘ Gegner Hugo Wolf, der dem Hamburger Komponisten in der berühmten Kritik der vierten e-Moll-Sinfonie (1886) bescheinigte, er beherrsche die Kunst, „ohne Einfälle zu komponieren“? Wolf ergeht sich in der sinfonischen Dichtung „Penthesilea“ in wild bewegten, hitzigen Klangzuständen, deren emotionalen Dauerdruck Peter Gülke und das gut folgende Orchester überzeugend vermittelten – wenngleich man sich des Eindrucks nicht erwehren konnte, dass Brahms viel mehr seine Sache war.
Und das Cellokonzert von Robert Schumann, der im Unterschied zu Hugo Wolf 1856 Brahms eine so überschwängliche Rezension verfasst hatte, ging Gülke mit einer ruhigen Narrativität an, erarbeitete wunderbar die kammermusikalische und vor allem dialogische Struktur des Werkes: Ein Solokonzert im alten Sinn ist das nicht mehr, es heißt ja auch „Concertstück“. Gute Unterstützung hatte er dabei von der sehr jungen russischen Cellistin Tatjana Vassileva, die tonschön, poetisch und feinstens artikuliert dem Interpretationskonzept ebenso präsent wie unaufdringlich folgte. Viel Beifall. Ute Schalz-Laurenze
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