: Leuchtender Schnee
Das Glück im Kargen zu suchen ist eine Stärke der Finnen. So scheint es in der Ausstellung „Das Licht kommt jetzt von Norden“ mit Kunst des Symbolismus und Jugendstil im Bröhan Museum Berlin
von KATRIN BETTINA MÜLLER
So viele Worte, wie die finnische Sprache für Schnee kennt, so viele Abstufungen der Farbe Weiß fanden die finnischen Maler. Der zugefrorene See, auf dem Pekka Halonen eine Wäscherin (1900) arbeiten ließ, ist von einem Weiß, das sich weit über die Bildfläche ausdehnt; schon vom Hinschauen wird man müde und ahnt die Anstrengung der Wäscherin. Die „Kirchgänger beim Heimgang“ (1896), die Louis Sparre auf Skiern durch einen kalten Morgen schickt, ziehen eine dünne schwarze Spur zwischen blau und rosa schimmernder Helligkeit. Fast wie gefrorener Schaum wirkt „Imatra im Winter“ von Akseli Gallen-Kallela, und lange hält man es für ein gegenstandsloses Bild, bis sich die Augen an die Nuancen von Licht und Schatten gewöhnt haben und die Bäume unter dem Schnee erahnbar werden.
In der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts galten Reduktion der Formen und der Rückzug der Farben in die Monochromie als Merkmale für den Weg in die Moderne. In Finnland scheint die Natur selbst mit ihren kurzen Wintertagen diesen Kurs ins Karge begünstigt zu haben. So scheint es zumindest in der Ausstellung „Das Licht kommt jetzt von Norden“, für die das Bröhan-Museum in Berlin, spezialisiert auf die Zeit des Jugendstils, über 250 Leihgaben aus Museen und Privatsammlungen zusammengestellt hat. Fast hundert Jahre nach der Enstehung der Bilder hat sich die Seherfahrung verändert; und vor dem Hintergrund eines neu erwachten Interesses an der Landschaft und der Perspektive, unter dem Natur zum Bild wird, entdeckt man den finnischen Symbolismus wieder. Selbst für die Stilisierungsmuster des finnischen Regisseurs Aki Kaurismäki findet man hier Vorläufer; denn auch seine Helden fangen wieder an, ihre Kartoffeln selbst zu ziehen.
Als Finnland um 1900, nach fast einem Jahrhundert als Großfürstentum des russischen Zarenreiches, nach nationaler Unabhängigkeit strebte, gehörte das Standhalten unter den harten Lebensbedingungen zu den Eigenschaften, auf die sich Stolz und Identität gründeten. In der Literatur, der Musik, der Malerei erhielt die Topographie einen neuen Stellenwert, besetzt mit Mythen und Heldensagen. Mit den Städten der Industrienationen Europas konnte man nicht konkurrieren – unschlagbar aber war man auf dem Terrain der Einsamkeit. Vor der Folie der Landschaft wurde die Stärke der „Volksseele“ entdeckt. Pekka Halonen malte „Pioniere in Karelien“, die Bäume fällten und Felsen wegstemmten. Die Körper der Arbeitenden waren von festen Konturen sicher umschlossen und der Gleichklang ihrer Bewegungen dem Rythmus der Stämme angepasst. Ein fast ornamentales Muster verband sie mit ihrer Umwelt.
Die sakrale Erhöhung des Einfachen und die Erhabenheit des Anspruchslosen: An diesem Ideal beteiligten sich für die damalige Zeit erstaunlich viele Künstlerinnen. Die Malerinnen Ellen Thesleff, Beda Stjernschantz, Helene Schjerfbeck und Elin Danielson-Gambogi hatten (wie ihre russische Kolleginnen) in Paris an privaten Akademien studiert, bevor sie nach Finnland zurückkehrten. Die Rückenfigur einer lesenden Frau bei Helene Schjerfbeck und ein rufendes Mädchen in Ellen Thesleffs Bild „Echo“ sind von leuchtenden Rändern eingefasst, die sie aus der nur grob umfassten Umgebung herausheben. Diese Porträts vibrieren von Spuren der Konzentration und der Verinnerlichung – und die Zurückhaltung in den äußeren Formen deutete ein sehr komplexes Innen an.
Die Souveränität der Malerinnen ist überraschend auch vor dem Hintergrund der doch recht heroischen Gesten in der Selbststilisierung einiger Künstler. Akseli Gallen-Kallela, der sich gar für einige Jahre mit Frau und kleinen Kindern in ein Atelier in der Wildnis zurückzog, trieb diesen Kult am weitesten: „Monumentalität ist männliche Kunst. Parthogenetisch entstand sie in der Seele des Mannes, als Mann, Held und Künstler noch eins waren.“ Fern der Heimat litt der finnische Künstler denn auch ganz außerordentlich und beschimpfte während eines Berlinaufenthalts die Stadt und ihre Künstler als schwach und dekadent.
In der Malerei aber hat er für dieses Pathos sehr unterschiedliche Ausformungen gefunden. Er malte sehnsuchtsvolle, zarte Bilder von Seen und Inseln, über die die Nebel in schönlinigen Schleiern zogen. Er porträtierte Pflanzen wie den Bärenklau, die noch von keinerlei Kunst mit symbolischen Werten belegt waren, und betonte gerade dadurch den Blick für das Wilde und Verborgene als Ort unentdeckter Schönheit. Natürlich illustrierte er auch die „Kalevala“, eine Legende vom Kampf gegen Ungeheuer, die zum Ursprungsmythos erhoben wurde. Gerade in diesen Bildnarrationen wurde sein Stil so flächig und ornamental, Konturen und Linien so kunstvoll verflochten, dass man als nächsten Schritt eigentlich Comics erwartet. So weit aber war es noch lange nicht.
„Das Licht kommt jetzt von Norden“, Bröhan-Museum Berlin, bis 2. März 2003, Katalog 25 €.
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