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Moch und Mörchen

Aus der Wohnung unten dringen die Brunftschreie eines vögelnden Beamtenpaars

Unter der Woche wiederholt sich das akustische Inferno pünktlich um 17.30 und 22 Uhr

Unter meiner neuen Wohnung haust ein qualliger Enddreißiger namens Moch. Beigegeben ist ihm ein Weib von dürrer, ausgezehrter Statur, welches den Moch um zwei Haupteslängen überragt. Moch nennt sie Mörchen, obwohl es in seiner käsigen Verkniffenheit eher an einen verlebten Rettich gemahnt. Diese ästhetische Ausgangslage hindert den Moch jedoch nicht, die Möhre regelmäßig zu besteigen und erstaunlich ausdauernd durchzubimsen. Was mich an sich ja gar nichts angeht, tatsächlich auch nicht im mindesten interessieren würde, hätten Moch und Mörchen nicht die fatale Angewohnheit, ihre Kopulationen stets bei geöffnetem Fenster zu vollziehen.

Schön ist das nicht. Denn das Paar kann schon morgens um sieben nicht mehr an sich halten. „Öchächöchöchäch“, orgeln die Brunftschreie des Moch durch die jungfräuliche Dämmerung, während das im oberen Frequenzbereich aus der Karotte schrillende Redita („ohjeohjeohjeohgottegottegottegott“) ganze Taubenschwärme von den Dächern fegt. Unter der Woche wiederholt sich das akustische Inferno pünktlich um 17.30 und 22 Uhr: Moch ist Beamter. An Sonn- und Feiertagen wird auch schon mal zur Kaffeezeit ein Nümmerchen eingeschoben.

Lange, zu lange war ich geneigt, die öffentliche Zurschaustellung der Moch’schen Potenz und ihre Auswirkungen auf mein Privatleben zu ignorieren, schließlich ist man ein höflicher und leidensfähiger Zeitgenosse. Mein Beo Willibald zum Beispiel überlebte den Umzug ganze drei Wochen. Er starb an einem Donnerstag exakt um 17.32 Uhr. Der Tierarzt diagnostizierte Hörsturz. Zwei Wochen später weigerte sich meine Freundin kategorisch, „in dieser Peepshow“ zu übernachten. Das Maß war voll, als am 2. Advent Großvater Harry – ein Mensch, der die Panzerschlacht von Kursk ohne größere physische und mentale Schäden überstanden hat – anlässlich einer außerplanmäßigen und besonders heftig vorgetragenen Moch’schen Beischlafattacke gegen 16.10 Uhr kollabierte. Er ist mittlerweile über den Berg, aber nun sah ich mich schon der Familienehre wegen zum Gegenschlag gezwungen.

Nichts leichter als das, dachte ich. Die unselige Vögelei musste ja auch meinen Mitmietern schwer an die Nieren gehen. Doch ich biss auf Granit. Wie sich herausstellte, ist die Hausgemeinschaft vor allem kinderreich und vegetiert in sklavischer Demut vor Moch, weil sich der Orgiastiker nebenberuflich als Blockwart des Eigentümers verdingt hat und jeden juvenilen Verstoß wider die Hausordnung sardonisch protokolliert.

Umso entschlossener griff ich am nächsten Morgen in den Plattenschrank. Schostakowitschs Siebte, die „Stalingrader Sinfonie“, würde es schon richten. Ich schmiss das herbe Meisterwerk auf den Plattenspieler, drehte den Lautstärkeregler bis zum Anschlag, verklebte die Ohren mit Ohropax und wartete auf die Blechbläser, die sich wie Stukas auf das Moch’sche Trommelfell stürzen würden, um das Cortische Organ mit seinen 30.000 hochempfindlichen Haarzellen dem Erdboden gleichzumachen. Doch das einzige, was bis an mein wattegeschütztes Gehörzentrum drang, war „ohjeohjeohjeohgottegottegottegott“, Mörchens orgasmische Vollzugsmeldung.

Das nächste Mal versuchte ich es mit größeren Boxen und Mozarts „Don Giovanni“. Und zwar mit dem „Eccola – ohimäääääh!“, jener schon von Eckhard Henscheid als „Schrei der sündigen Natur gegen das göttliche Strafgericht“ gedeuteten Stelle, an welcher dem notorischen Stecher und Flachleger Giovanni von Gott ordentlich heimgeleuchtet wird. Es half leider ebensowenig wie Verdis „Macht des Schicksals“. Von Jonny Cashs „Mörderballaden“ oder John Lennons „Help“ ganz zu schweigen. Abendländisches Kulturgut prallte an Moch und Mörchen einfach ab. Bis ich einen guten Freund bat, sein Altsaxofon zu schultern und den 22-Uhr-Koitus durch eine seiner berühmt-berüchtigten Albert-Ayler-Paraphrasen zu begleiten. Kaum hatte er ins Horn (!) gestoßen, stand Moch vor meiner Tür. Mit blutunterlaufenen Augen, im Unterhemd, die seidene Trainingshose noch gebeult von einer Schwellung in Halbtrauer, brüllte er den denkwürdigen Satz: „Bis 20 Uhr ist das Ruhestörung. Nach 20 Uhr eine kriminelle Handlung.“ – „Genau“, brüllte ich zurück. Seit gestern ist die Sache beim Amtsgericht anhängig. Mein Anwalt räumt mir wenig Chancen ein. Doch darauf sei herzhaft gepfiffen. MICHAEL QUASTHOFF

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