■ Zur Sprechstunde bei einem Hoffnungsträger: Schicksalsfragen
Hartmut Porst ist promovierter Mediziner, Professor und niedergelassener Urologe in Hamburg. Er gilt international als anerkannter Spezialist auf dem Gebiet der männlichen Sexualkraft. Die neue, in den USA entwickelte Potenzpille „Viagra“ bezeichnete der Mann, den viele Männer als ihre letzte Hoffnung konsultieren, als Fortschritt gegenüber allen anderen Hilfsmitteln gegen Impotenz.
taz: Viagra kommt im Frühjahr auf den amerikanischen Markt, der Hersteller rechnet 1999 mit einer europaweiten Zulassung. Immer wieder sind Meldungen von Potenzwundermitteln zu lesen. Sie selbst sagten, die Potenzpille Viagra sei eine Revolution.
Hartmut Porst: Die Testergebnisse sind in der Tat beeindruckend. Rund die Hälfte aller Männer mit Potenzstörungen sprechen auf das Medikament an. Jeder Mann wird es haben wollen, auch wenn er nicht an Potenzstörungen leidet.
Die Latte auf Knopfdruck: Ist das nicht eine Horrorvision?
Das kann ich nicht beurteilen. Für die eine oder andere Frau kann es zuviel sein, wenn ihr Partner immer kann. Das Mittel wirkt auch nicht bei allen, es hat auch Nebenwirkungen: Durchfall, Gesichtsröte, Kopfschmerzen bei fünf bis zehn Prozent der Männer.
Wie viele Männer mit Impotenzproblemen behandeln Sie?
Ich habe wahrscheinlich die größte Schwerpunktpraxis in Deutschland überhaupt – mit ungefähr 1.500 neuen Patienten jährlich. Normalerweise sieht ein Urologe wesentlich weniger, vielleicht ein Zwanzigstel davon.
Wie viele Männer mit Potenzstörungen gehen zum Arzt?
Es gibt nicht so viele Ärzte, die sich darum kümmern. Und es gibt wenige Patienten, die sich trauen, zum Arzt zu gehen, weil sie vielleicht auch die Erfahrung gemacht haben, daß sich die Ärzte nicht so recht darum kümmern. Wenn der Mann zum Arzt geht, vertröstet der ihn bloß: Er soll froh sein, daß er keinen Krebs hat und gesund ist. Mit der Impotenz könne man eigentlich gut leben. Das ist immer noch die Auffassung vieler Ärzte.
Wie vielen Männern könnte denn dann geholfen werden, wenn sie zu einem Arzt gingen und der ihr Leiden auch ernst nimmt?
Vor zwei Jahren gingen etwa 500.000 Männer mit Potenzstörungen zum Arzt. Und wenn Sie das hochrechnen... Wir gehen von vier bis acht Millionen Männern mit Potenzstörungen in Deutschland aus. Und wir glauben, das nur etwa zehn Prozent der Betroffenen den Arzt konsultiert. Und die Hälfte davon kommt nur, weil die Partnerin sie drängt.
Warum das?
Die Sexualität gehört in den letzten zehn Jahren schon zunehmend zu einer Lebensqualität in der Partnerschaft, auch bei der Frau. Gerade Frauen in der Altersgruppe zwischen 40 und 60 Jahren drängen ihre Männer, daß sie einen Arzt aufsuchen. Das ist schon die Nachkriegsgeneration, die sexuell motiviert ist. Die läßt sich das auch nicht mehr bieten, wenn der Mann über Jahre keinen Sex mehr zuläßt, weil er versagt.
Drohen die Frauen auch mit dem Ende der Partnerschaft, wenn sich sexuell kaum noch etwas abspielt?
Ja, die Frauen nehmen das nicht mehr als gottgewolltes Schicksal, die wollen zumindest wissen, woran es liegt. Denn viele fürchten, es liegt an ihnen. Er mag mich nicht mehr..., ich bin nicht attraktiv genug... Nur die Kriegsgeneration, die schert das eigentlich wenig. Das ist wohl Erziehungssache.
Ist die moderne und fordernde Frau ein Problem für den Mann, der noch mit alten Rollenmustern aufwächst, der gewohnt war, allein zu bestimmen, was wie im Bett passiert?
Das spielt auch eine Rolle, aber dann eher in der Generation der 20- bis 40jährigen. Wobei die Potenzstörungen in dieser Altersgruppe oft streßbedingt sind.
Welche Rolle kann die Partnerin bei der Lösung von Potenzproblemen spielen?
Na ja, sie kann dem Mann erst mal zeigen, daß das Ganze kein Fiasko ist. Aber das hilft den Männern in dem Moment wenig, weil sie das Versagen immer auch in ihrer Ehre kränkt. Ein wesentlicher Punkt ist, daß sie lernt, die Therapie mitzutragen. Die Frauen sehen die Impotenz des Mannes immer als Angriff auf ihre eigene Attraktivität, gegen ihre eigene sexuelle Ausstrahlungskraft. Und dann zu lernen, daß viele Potenzstörungen gar nichts damit zu tun haben, sondern einfach organisch bedingt sind, damit haben viele Frauen noch Schwierigkeiten. Die Partnerin muß auch begreifen, daß mechanische Hilfsmethoden – sei es die Spritze, sei es Vakuumapparat, Prothese oder jetzt Tabletten – geeignet sind, ihm zu helfen.
Was sollte ein Mann tun, der sich um seine Potenz sorgt?
Zuerst stellt sich die Frage, ob es sich wirklich um Impotenz handelt. Manch einer klagt, daß er nur noch einmal wöchentlich kann oder nicht mehr zweimal hintereinander, wenn er sechzig ist. Das ist aber ein ganz normaler Zustand. Dem muß man nicht unbedingt mit aufwendigen Methoden unter die Arme greifen. Behandungsbedürftig sind erst die Fälle, wo ein Mann seit mindestens sechs Monaten keinen zufriedenstellenden Sex mehr haben konnte und wenn zugleich jeder Geschlechtsverkehr zum Streß wird und nicht zum Vergnügen.
Sind sechs Monate nicht eine sehr lange Zeit?
Man sollte erst mal abwarten und mit der Partnerin sprechen. Sechs Monate sind immer noch ein relativ kurzer Zeitraum. Die Männer, die zu mir kommen, warten durchschnittlich dreieinhalb Jahre.
Wie groß sind die Heilungschancen?
Prinzipiell können Sie jedem dazu verhelfen, wieder zufriedenstellenden Geschlechtsverkehr zu haben. Es gibt extreme Ausnahmen, vielleicht einer von zehntausend, bei dem nichts zu helfen scheint. Die neue Tablette wird etwa der Hälfte aller Männer helfen können. Von der anderen Hälfte sprechen viele auf die Spritze an oder auf andere Medikamente. Übrig bleiben zehn bis zwanzig Prozent, denen nur mit Operationen, Prothesen oder sogenannten Vakuumapparaten geholfen werden kann. So wird das in sehr naher Zukunft aussehen.
Spritze, Vakuumapparat, Prothese? Wie kann sich der Laie das vorstellen?
Die Spritze kann der Mann kurz vor dem Geschlechtsverkehr anwenden. Dabei injiziert er sich eine körpereigene Substanz in die Gliedschwellkörper. Nach acht bis fünfzehn Minuten eregiert der Penis, wobei so dosiert werden sollte, daß die Erektion nicht länger als zwei Stunden anhält.
Was ist mit Patienten, bei denen die Impotenz seelisch bedingt ist?
Denen wäre es lieber, es hätte organische Ursachen. „Psychisch“ hat immer den negativen Touch, daß einer – salopp formuliert – in der Birne eine Schraube locker hat. Ich muß den Männern dann klarmachen, daß das damit nichts zu tun hat. Sondern daß es durch Fehlfunktionen im Gehirn, streßbedingt oder durch Versagensängste zu Schwierigkeiten beim Sex kommt.
Eine psychologische Behandlung ist langwieriger und anstrengender als das Schlucken einer Pille. Wollen die Patienten nicht lieber den schnellen Erfolg?
Das hängt vom Leidensdruck ab. Es gibt auch hier dringende Fälle, die einer schnellen Hilfe bedürfen, weil sie psychisch sehr stark beeinträchtigt sind. Ansonsten verwende ich schon bei einem Teil der chronisch psychischen Patienten auch mechanische Methoden, weil gar nicht genügend Therapieplätze da sind. Die Sexualtherapeuten können gerade mal fünf Prozent der Patienten behandeln; die Unterversorgung ist beachtlich. Die anderen 95 Prozent ergattern keinen Therapieplatz.
Helfen dann überhaupt medizinische Maßnahmen?
Die helfen insoweit gut, daß er wieder zum Geschlechtsverkehr fähig ist. Das löst natürlich das dahinterstehende Problem nicht immer. Aber die Männer kriegen die Selbstsicherheit wieder. Der Versagensstreß und die Ängste werden weggenommen. Deshalb ist das schon eine gute Therapie. Interview: Sascha Borrée
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen