Angriff auf Wachsfigur in Berlin: Hitler-Attentäter verurteilt
Der Mann, der im Juli eine Wachsfigur des Diktators zerstört hat, wird wegen Sachbeschädigung und Körperverletzung verurteilt. Vor Gericht verteidigt er die Tat.
Am Ende zeigte sich der Angeklagte selbstkritisch: "Ich würde das alles in allem nicht noch einmal machen", erklärte Frank L. am Dienstag vor dem Amtsgericht Tiergarten.
Die Staatsanwaltschaft warf dem Angeklagten vor, am 5. Juli 2008 - dem ersten Tag, an dem die Berliner Filiale von Madame Tussauds für Besucher geöffnet war - die Wachsfigur Adolf Hitlers zerstört zu haben. Er habe den Kopf des Diktators abgerissen und eine Hand beschädigt. Dabei habe er einen Wachmann, der ihn an dem Vorhaben hindern wollte, leicht verletzt. Die Ausstellung wurde damals im Anschluss an die Tat für rund 20 Minuten geschlossen, die beschädigte Wachsfigur kam ins Depot. Den Sachverhalt bestritt der Angeklagte nie. Gegen den Strafbefehl in einer Höhe von 1.800 Euro legte er trotzdem Widerspruch ein und erzwang somit den Prozess.
Vor Gericht führte L. die Motive seiner Tat aus. Er beschrieb sich als Mensch mit einem politischen Bewusstsein, der auch mit seinen Freunden über politische Themen diskutiert und auf deren Urteil Wert legt. Dazu gehöre auch die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. "Gerade wenn man in Berlin aufwächst, kommt man auf Schritt und Tritt an Spuren des Naziterrors vorbei", erklärte er.
Die Form, in der die Figur in der Ausstellung dargestellt werde, habe er als zu positiv für die begangenen Verbrechen empfunden. "Ich habe gedacht, dass die Entscheidungsträger in London sitzen und keine Ahnung von den Befindlichkeiten der Deutschen haben", sagte er. Darüber hinaus vermutet er, dass ein starkes finanzielles Interesse der Verantwortlichen den Ausschlag gegeben habe, die Figur mit in die Ausstellung zu nehmen. "Und das nur 500 Meter entfernt vom Mahnmal für die ermordeten Juden."
Da der Angeklagte seine Tat gestanden hatte, ging es im Prozess schließlich nur noch um die Höhe des einzelnen Tagessatzes: 30 Euro sah der Strafbefehl vor, die Richterin mindert ihn in der Verurteilung auf 15 Euro, da L. Arbeitslosengeld II bezieht. Insgesamt 900 Euro muss er für die Sachbeschädigung in Tateinheit mit Körperverletzung zahlen. "Die Opfer, die ich bringen musste, sind groß", erklärte L. - und scheint sich nicht nur auf den finanziellen Aspekt zu beziehen. Eigentlich sei er ein öffentlichkeitsscheuer Mensch.
Immerhin habe man bei Madame Tussauds reagiert, so L. Jetzt werde der Diktator tatsächlich als gebrochener Mann dargestellt. "Das Konzept ist genau gleich geblieben", erklärt dagegen Tussauds-Sprecherin Natalie Ruoß. Fotos vor der Zerstörung und nach der Wiederherstellung der Figur unterscheiden sich jedoch im Detail: Die Krawatte sitzt deutlich lockerer, die Frisur ist wirrer. "Zufall", erklärt Ruoß.
L.s Anwalt Richard Radtke zeigte sich nach der Verhandlung zufrieden: "Es ist uns auch darum gegangen, diese Gesichtspunkte richtig zu Gehör zu bringen", erklärte er. Er warf den Machern der Ausstellung "äußerste Instinktlosigkeit" vor. Er könne sich vorstellen, dass dort sogar auf einen derartigen Angriff spekuliert worden sei. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
(AZ: 253 CS 45/09)
DER ANGEKLAGTE FRANK L.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren