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Sozialarbeit à la Roland Berger

Familienrichter kritisieren Arbeitsstrukturen des Jugendamtes: Keiner zuständig, keiner da. Nach der Roland-Berger-Reform haben die Sozial-Fachleute eine „Schere im Kopf“, sagt ein Ausschuss-Zeuge

Von Klaus Wolschner

Der Untersuchungsausschuss, der den Tod von Kevin aufklären soll, fragt nach Hintergründen für das Versagen des Jugendamtes. Diese Woche war der ehemalige Oberregierungsrat Gerhard Tersteegen als Zeuge geladen. Für Tersteegen liegen die Hintergründe des Todes von Kevin letztlich in der „Neujustierung“ des Jugendamtes nach fiskalischen Vorgaben.

Im Jahre 1999 hatte Tersteegen, damals Mitarbeiter im Sozialressort, in einem internen Papier gewarnt: „Die Praxis der Jugendhilfe gerät in Gefahr, dass die von ihr erbrachten und zu erbringenden Leistungen künftig nur noch unter monetären Gesichtspunkten betrachtet werden.“ Für den „Einsparzwang“ werde die „fachtheoretische Begründung“ nur vorgeschoben.

Die „Ökonomisierung“ des Jugendamtes nach den Vorschlägen der Unternehmensberater von Roland Berger habe in den letzten Jahren zu einer „Reduzierung des fachlichen Selbstbewusstsein“ der Mitarbeiter geführt, zu einer „Schere im Kopf“, sagt Tersteegen heute: Wer „mit viel Papieraufwand um vergleichsweise kleine Summen für die Finanzierung von Unterstützungsmaßnahmen streitet“ und Fremdunterbringungen vor einer „Plausibilitätsüberprüfung“ rechtfertigen muss, der gerät in Versuchung, solche unangenehmen Situationen eher zu vermeiden. Tersteegen: „Der Amtsleiter fungierte als Sparkommissar und sah sich beauftragt, die Sanierung des Haushaltes zu unterstützen.“ In die Führungsetage seien Leute „aus anderen Gründen als ihrer fachlichen Qualifikation“ gekommen.

Die Kritik von Tersteegen findet ganz erstaunliche Bestätigung in dem, was die Bremer Familienrichter jüngst zu ihren Erfahrungen mit dem Jugendamt aufgeschrieben haben. Die Zusammenarbeit zwischen Richtern und Jugendamt ist danach schlicht eine Katastrophe. Kostprobe: „Die Umwidmung des Sozialarbeiters zum Case-Manager führt dazu, dass Dritte die Familienhilfe vor Ort leisten“ und die Case-Manager die Familien oft „nur vom Hörensagen“ kennen. Ihre Stellungnahmen seien schon deshalb vor Gericht oft nicht zu verwerten, oft seien zudem die fachlichen Bewertungen sehr vorsichtig und überließen die fachliche Einschätzung des Falles letztlich dem Gericht.

Auch der Kostendruck des Jugendamtes ist für die Richter alltäglich spürbar: „Mitarbeiter des Amtes beklagen immer wieder, dass aus sozialarbeiterischer Sicht von ihnen für notwendig erachtete Maßnahmen aus Kostengründen nicht durchgeführt werden.“ Sie stellten vor Gericht Anträge in der Hoffnung, dass durch ein „Machtwort des Gerichts vorbei an der Fallkonferenz“ die kostenträchtige Regelung erzwungen würde.

Die Erhöhung der Fallzahlen führe für die Gerichte zu unhaltbaren Zuständen: Es sei schlicht so, „dass wir bei Einleitung eines Verfahrens oft über Wochen oder Monate nicht wissen, welcher Mitarbeiter in der Sache zuständig ist“. Ladungen zu Terminen brauchen „bis zu sechs Wochen, bis sie von der Eingangsstelle des Jugendamtes bis zum Sachbearbeiter gelangen“. Auch dann passiere es oft, dass Mitarbeiter „zu dem anberaumten Gerichtstermin nicht erscheinen und sich auch nicht abmelden“. Versuche telefonischer Nachfragen verliefen im Amt häufig im Nichts. Ein „Saftladen“, fasst die für Kevin zuständige Richterin zusammen.

Wortlaut: www.mehr-dazu.de

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