: England schüttelt sich
Und der Rest der Welt schüttelt sich mit. In regelmäßigen Wellen überschwemmt die britische Popkultur die Welt mit Jungsgangs und ihren in der Regel gitarrenlastigen Popsongs. Die neueste Sau, die durchs Vereinigte Königreich und vielleicht auch den Rest der Welt getrieben wird: die Arctic Monkeys
VON TOBIAS RAPP
Es gibt Nächte, da kann man der großen britischen Hypemaschine auch in Deutschland beim Brummen zusehen. Mitte Dezember etwa, als die Sheffielder Band Arctic Monkeys im Mudd Club spielten. Gerade neu bei Domino Records unter Vertrag, der Plattenfirma, die der Welt auch schon Franz Ferdinand geschenkt hat. Brechend voll war der Laden, und zwar nicht mit Berlinern. Es waren nämlich samt und sonders Engländer, die eigens angereist waren, um die Arctic Monkeys noch einmal in einem kleinen Clubsetting spielen zu sehen. In England sind sie dafür nämlich schon zu groß. So verändern die Preise der Billigflieger die Landkarte des europäischen Pop.
Es gibt aber auch Tage, da möchte man, dass dieses ganze abgeschmackte Spiel zur Hölle fährt: dieses quasi-natürliche Bedürfnis der britischen Popkultur, in regelmäßigen Wellen den Rest der Welt mit Kleingangs von Jungs zu überschwemmen, die unter Zuhilfenahme von zwei Gitarren, Bass und Schlagzeug davon singen, was es heißt, jung, britisch, mächtig breit und pleite zu sein. Als würde ein gesamtes kulturelles Feld regelmäßig von einem epileptischen Anfall geschüttelt, der nur durch Absonderung großer Mengen von Bands in Griff zu bekommen ist, die sich samt und sonders an den Ausdrucksformen der vorherigen Anfälle orientieren. Als bliebe jungen Engländern gar nichts anderes übrig.
Im Monatsrhythmus werden sie durchs Dorf gejagt, und wenn man sich von der Forderung verabschiedet, das Rockmusik auch ästhetisch etwas mit der Gegenwart zu tun haben sollte, sind es meist sogar recht hübsche Ästhetiken, die einem da präsentiert werden – trotzdem fragt man sich ein wenig, warum zwanzig Jahre House Music so gut wie keine Spuren in der Art hinterlassen haben, wie diese Bands Rhythmus definieren. So sind auch all die Kritiker-Beteuerungen, hier werde die Rockmusik neu erfunden oder gerettet, natürlich Unfug: diese Musik handelt von nichts anderem als der körperpolitischen Wahrheit dieses Ausagierens jugendlicher Wirrköpfigkeit und Verzweiflung. Funktioniert immer, hört sich auch immer gut an, gehört wahrscheinlich zum Kulturerbe der Menschheit.
Zwanzig Jahre ist der Älteste der Arctic Monkeys, ihr Gitarrist Jamie Cook, die anderen sind alle neunzehn. Dementsprechend große Überzeugungskraft hat es dann auch, wenn sie über das erniedrigende Gefühl singen, in der Schlange vor einem Club zu warten und vom Türsteher missachtet zu werden, indem er andere Leute an einem vorbeiwinkt („From The Ritz To The Rubble“). Dass einem ältere Jungs mit Auto die Freundin ausspannen („Bigger Boys And Stolen Sweethearts“). Oder darüber, dass man die wirklich hübschen Mädchen eben nie bekommt („I Bet You Look Good On The Dancefloor“), die erste Single der Band, tiefergelegter und grandios breitgekloppter Franz-Ferdinand-Uptempo-Postpunk. Wobei das Interessante an den Arctic Monkeys – trotz des Charmes, den ihr kommende Woche erscheinendes Debütalbum „Whatever People Say I Am“ hat – etwas ganz anderes ist: der Umstand nämlich, dass sie hunderte von Fans im Billigflieger nach Deutschland ziehen können, ohne dass es mehr als eine Single von ihnen zu kaufen gab. Ohne großes Zutun der Band selbst verbreitete sich ihr Ruhm nämlich über das Internet.
Die Arctic Monkeys hatten bei ihren Konzerten schlicht selbst gebrannte Proberaum-Aufnahmen verschenkt, die über Fans dann ihren Weg ins Netz fanden – die vier Bandmitglieder hatten gar keinen Internetanschluss, erzählten sie dem New Musical Express, der ihnen eine Coverstory widmete („Alle Jubeljahre taucht eine Band auf, die eine Generation vereint“). Angetrieben von ausführlichem Touren entwickelte der Hype dann vor allem über das Netz eine Dynamik, die den Arctic Monkeys schließlich ihren Vertrag bei Domino verschaffte.
Und das ist dann doch eine schöne Nachricht. Dass der Konzertsaal als primärer Ort popkultureller Erfahrung wieder zurückkommt. Jetzt, wo im Musikfernsehen so gut wie keine Musik mehr läuft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen