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„Der Iran hat Schuld“

INTERVIEW: SUSANNE KNAUL

taz: Herr Ghazzawi, wie bereiten Sie sich auf den Prozess vor?

Issam Ghazzawi: Wir sind ein Team von 20 Anwälten. Die Gruppe trifft sich wöchentlich, um die Berichterstattung auszuwerten und einige Verteidigungsschriften zu formulieren. Der Präsident wurde bislang nicht offiziell beschuldigt.

Man kann wohl davon ausgehen, dass die Giftgasanschläge auf die Kurden zu den Anklagepunkten gehören.

Wir haben Beweise, Papiere, die das Pentagon recherchiert hat, darüber, dass der Irak zu diesem Zeitpunkt nicht im Besitz des eingesetzten Giftgases war. Wer für die Kurden verantwortlich war, ist der Iran.

Wie steht es mit dem Mord an den tausenden Schiiten im Südirak unmittelbar nach dem zweiten Golfkrieg?

Das ist eine andere Geschichte, wobei auch hier Teheran verantwortlich zu machen ist. Es kamen nach dem, was sie „Operation Desert-Storm“ nennen, 1,5 Millionen Iraner in den Südirak. Bei den Toten in den Massengräbern handelt es sich tatsächlich um irakische Soldaten. Man konnte das in den Fernsehbildern sehen: Skelette, die noch ihre irakischen Papiere bei sich trugen. Und ein paar Unschuldige. Es gibt leider immer ein paar Unschuldige, die im Krieg ums Leben kommen.

Waren die Iraner auch für die Invasion Kuwaits verantwortlich?

Kuwait verkaufte das Öl weit unter dem Marktpreis. Irak hatte gerade einen Krieg hinter sich und brauchte für den Wiederaufbau Geld. Präsident Saddam hat die arabischen Staatsoberhäupter zu einem Gipfel in Bagdad eingeladen und an Kuwait appelliert, damit aufzuhören. Aber sie haben weiter Öl gepumpt, was den Irak Millionen kostete. Präsident Saddam hatte wirklich keine andere Wahl. Die Kuwaitis und Saudi-Arabien haben gesagt: Tu, was du willst, Amerika wird uns den Rücken stärken. Dazu kommt, dass Irak Kuwait niemals anerkannt hat, sondern als Teil des Iraks betrachtet.

Menschenrechtsorganisationen sprechen von 60.000 Regimekritikern, die in den Gefängnissen zu Tode gefoltert wurden …

Wer das behauptet, lügt. Mein Mandant ist unschuldig.

Es gibt Zeugen.

Die sollen vor Gericht erscheinen. Wir werden dann Beweise liefern für die Unschuld des Präsidenten.

Welche Strategie haben Sie?

Zuallererst werden wir andere Richter fordern. Die jetzigen Richter sind illegal, sie sind Verräter, die gegen ihr Land arbeiten. Sie kamen auf den Panzern der Amerikaner. Das Gericht ist schon deshalb illegal, weil es der Invasion folgend konstituiert wurde. Ein Besatzer hat weder das Recht, Gesetze in dem besetzten Land zu verändern, noch Richter anzustellen. Zuerst brauchen wir ein rechtmäßiges Gericht, danach werden wir unseren Klienten so gut verteidigen, wie wir können. Dazu müssen wir das Material einsehen, das der Anklageschrift zugrunde liegt. Dabei geht es um 8 Millionen Seiten mit einem Gesamtgewicht von 36 Tonnen.

Sie glauben also nicht, dass es in Bagdad ein faires Verfahren geben kann?

Natürlich nicht. Sehen Sie sich nur einmal den Vorsitzenden Richter an. Das ist ein Schuljunge ohne jede Erfahrung.

Der zuerst eingesetzte Richter ist einem Attentat zum Opfer gefallen, vermutlich war es schwer, Ersatz für ihn zu finden.

Also nimmt man einen Jungen, der erst 1999 als Richter vereidigt wurde, um den Präsidenten des Iraks zu verurteilen? Es gibt viele Richter, die weitaus qualifizierter sind als er. Aber sein Vorteil ist, dass er mit den Amerikanern zusammengearbeitet hat. Außerdem ist er mit einer Angehörigen der amerikanischen Armee verheiratet, und er lebt in Katar und kommt nur zweimal pro Woche nach Bagdad.

Er hat alle Gründe zur Vorsicht. Haben Sie keine Angst, nach Bagdad zu fahren?

Ich habe keine Angst, irgendwohin zu fahren.

Tragen Sie keine kugelsichere Weste?

Nichts, ich würde zu Fuß durch Bagdad spazieren. Aber überlegen Sie mal. Eine Situation, in der die Richter um ihr Leben fürchten müssen. Das muss Ihnen eine Vorstellung darüber geben, wie sehr das irakische Volk seinen Präsidenten liebt.

Das trifft sicher auf die Oppositionellen zu.

Nur die Oppositionellen? Ich garantiere Ihnen, dass die Mehrheit der Iraker so denkt.

Es haben immerhin Wahlen stattgefunden.

Die keinerlei Legitimation haben, denn über 40 Prozent des Volkes hatten nicht die Chance, ihre Stimme abzugeben. Wie kann man das Wahlen nennen? Die Kurden im Norden und die Schiiten im Süden wählten – der Rest nicht.

Vielleicht bedeutet die Tatsache, dass die Kurden und die Schiiten die neue Situation begrüßen, dass sie Saddam Hussein für ihr Unglück verantwortlich machen?

Sie glauben den Lügen, die man ihnen erzählt hat.

Sie lehnen also das irakische Tribunal ab?

Es muss letztendlich ein internationales Gericht sein, denn die meisten Anklagepunkte sind internationale, beispielsweise der Vorwurf des Völkermordes. Es wäre gut, wenn von Beginn an ein internationales Gericht die Sache übernimmt. Kein Land hat das Recht, den Präsidenten vor Gericht zu stellen.

Den einstigen Präsidenten.

Ich betrachte ihn noch immer als Präsidenten, denn er wurde infolge der Invasion gestürzt – einer illegalen Invasion. Die USA und Großbritannien haben einen Krieg geführt, der nach internationalem Recht illegal ist. Auch das Gerede über chemische oder biologische Waffen … Sie haben nichts gefunden.

Welches Ziel setzen Sie sich für Ihre Verteidigung?

Wir wollen beweisen, dass er unschuldig ist.

Und dann wieder als Präsident einsetzen?

Ich glaube nicht, dass das in unserer Macht steht.

Was wünscht sich, Ihrer Meinung nach, das irakische Volk?

Den Präsidenten zurück. Selbst Leute, die früher gegen ihn waren, sind heute für ihn, denn sie haben gesehen, was die Amerikaner ihnen angetan haben. Es sind über 100.000 Zivilisten getötet worden.

Dann ist Saddam Hussein das kleinere der beiden Übel?

Nein, er ist das Gute und die USA sind das Übel.

Welche Verbindung haben Sie zu ihm?

Ich kenne den Präsidenten seit über zwanzig Jahren.

Wie?

Ich habe ihn oft getroffen.

In seiner Partei?

Ich bin kein Mitglied irgendeiner Partei.

Also wo?

Ich kenne ihn persönlich, wie, geht niemanden etwas an.

Was wissen Sie über seine jetzige Situation?

Sie müssen sich vor Augen halten, dass er seit über zwanzig Monaten im Gefängnis ist. Mein Kollege Dulaimi hat ihn im Dezember 2004 getroffen, das zweite Mal im April und dann noch mal am 12. Juni, also vor einem Monat. Alle Treffen fanden in Gegenwart eines Wachoffiziers statt. Die beiden Männer hatten keine Gelegenheit, über den Fall zu sprechen.

Worüber haben Sie geredet?

Über die Entwicklungen im Irak.

Was denkt er darüber?

Er sagte, dass er von Anfang an damit gerechnet habe, dass das irakische Volk der Besatzung starken Widerstand leistet – was jetzt passiert. Die Amerikaner werden deshalb sehr bald den Irak verlassen.

Was wissen Sie über die Haftbedingungen?

In den ersten zwei Tagen wurde er geschlagen und gefoltert, danach ließen sie ihn in Ruhe. Zu Anfang hatte er je eine halbe Stunde morgens und abends Zeit, um seine Zelle zu verlassen. Jetzt hat er zweimal eineinhalb Stunden täglich. Er hat keinen Kontakt zu Mithäftlingen, bekommt keine Zeitungen, keine Bücher, darf nicht Radio hören. Er schrieb drei oder vier Briefe an seine Familie, die zensiert wurden. In einem Brief blieben vor lauter schwarzer Farbe ganze 14 Worte lesbar.

Herr Ghazzawi, beobachten Sie den Prozess gegen Slobodan Milošović?

Sicher. Wir studieren den Fall und werden Taktiken seiner Verteidigung übernehmen.

Und den US-amerikanischen Präsidenten George W. Bush als Zeugen vorladen?

Ja, wir wollen alle offiziellen Repräsentanten befragen, die mit der Sache in Verbindung stehen.

Wer außer dem jordanischen Komitee arbeitet an der Verteidigung?

Das zentrale Komitee ist in Amman, aber es gibt viele Anwälte überall auf der Welt, die uns beraten: in Libyen, Libanon, Jemen, Algier, Tunesien, Ägypten, Belgien, Holland, Italien, England, USA und Indonesien.

In welcher Größenordnung?

In Amman sind wir zwanzig, die konstant an dem Fall arbeiten, dazu kommen 600 Anwälte, die jederzeit helfen. In den anderen Staaten sind die Zahlen ähnlich.

Bekommen Sie ein Honorar für Ihre Tätigkeit?

Nein, wir sind alle freiwillig dabei.

Warum eröffnen Sie kein Spendenkonto?

Das dürfen wir nicht – die Amerikaner verweigern jegliche Konten für die Verteidigung Saddam Husseins.

Sie leben in Amman, nicht in New York.

Trotzdem – die Amerikaner haben auch hier die Kontrolle. Wir haben es sogar in Deutschland versucht. Es ist unmöglich, ein Konto dieser Art zu öffnen.

Wann wird Ihrer Meinung nach der Prozess gegen Saddam Hussein beginnen?

Vielleicht wird es innerhalb der kommenden drei bis vier Monate eine Sitzung mit der Verlesung der Anklageschrift geben. Danach werden sie Jahre warten. Das heilige Recht der Verteidigung ist die Einsicht in die Unterlagen. Wir müssen dieselben Papiere studieren, die die Anklage hat.

Wie lange brauchen Sie dazu?

Genauso lang wie die Staatsanwaltschaft.

Eineinhalb Jahre?

Mindestens.

Der Prozess wird also nicht vor 2007 beginnen.

Eher 2008.

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