piwik no script img

punk, chemikalien etc.Sex, Überdosen und Rock ’n’ Roll: Dee Dee Ramone, Bassist der Ramones, ist tot

Taking Dope

Dee Dee Ramone war Chemikalienfan. Sowohl zur inneren als auch zur äußeren Anwendung: Ende der 70er wollte sich der Bassist der „Daddys of Punk“ (Joe Strummer) gerne die Haare bleichen. Seine Wahlfamilie, die dreckigen, ledernen, coolen Brüder der Rest-Ramones, verboten es ihm. Ein Ramone hatte, zumindest bis zur Auflösung der Band 1996, martialisch dunkle Haare zu haben. Wo käme der Punk denn in Blond hin! Höchstens bis zum Stubenpunk à la Billy Idol!

Dee Dee, als Douglas Glenn Colvin 1952 in Fort Lee, Virginia, geboren, färbte sich die Haare trotzdem später trotzig weißblond. Was ihm ein bisschen das Äußere eines gealterten Sonnyboys gab, zugegeben eines sehr lebensintensiven, komplett zutätowierten Sonnyboys: Dee Dee hatte so viele Falten im Gesicht wie ein ungebügeltes Geschirrhandtuch. Jede Falte eine Erfahrung. Erfahrungen hatte der 49-Jährige sattsam gesammelt: Seine Jugend verbrachte er in Berlin, wo sein schottischer Vater stationiert war, die Familie seiner Mutter kam ebenfalls aus Deutschland. 1974 gründete er zusammen mit seinen New Yorker High-School-Freunden Johnny Cummings (Johnny), Tommy Erdelyi (Tommy) und Jeff Hymans (Joey) die größte aller Zwei-Minuten-drei-Akkorde-eins-zwei-drei-vier-Einzählschreie-Bands. Dee Dee spielte zunächst Gitarre, schrieb die meisten der Songs und sang, Joey spielte Schlagzeug. Etwas später wechselte Dee Dee zum Bass und blieb dort bis 1989, als er die Band verließ. Er rappte danach mäßig erfolgreich als Dee Dee King mit verschiedenen Supportbands, ließ sich von den damals zumindest noch halbwegs lebendigen Punklegenden Stiv Bators und Johnny Thunders (als Chinese Dragons) begleiten und brachte Soloalben heraus. Er schrieb eine erfolgreiche Autobiografie mit dem Titel „Lobotomy: Surviving the Ramones“ und begann zu malen.

Dee Dees Bilder, die Anfang des Jahres noch unter anderem in der kalifornischen Follin Gallery ausgestellt wurden, sind bemerkenswert. Sie handeln, natürlich, von Sex, Drogen und Rock ’n’ Roll, aber auf eine so bestechend naive Art und Weise, dass man sie zu Demonstrationszwecken auch mit seinen Kindern ansehen könnte: „Johnny“ zum Beispiel ist ein krakeliges, buntes Porträt des Sex-Pistols-Sängers Johnny Rotten, rothaarig, glubschäugig, rotzgörig, mit einem Hakenkreuz auf dem T-Shirt und einem toilettenwandmalereiartigen Kinderpimmel auf der Hose. Dee Dee gab ein paar Jahre lang ein Fanzine mit dem bezeichnenden Titel „Taking Dope“ heraus, und Anfang des Jahres erschien sein zweites Buch, „Chelsea Horror Hotel“, ein Roman über das Leben in der legendären Rockstar-Absteige Chelsea Hotel in New York, in der sich nicht nur Sid Vicious in den Tod spritze. Dee Dee schreibt, wie er mit seiner Frau Barbara Zampini, die mit ihm, Marky und CJ Ramone übrigens 1996 kurzzeitig in der Ramones-Coverband The Remains spielte, in das Hotel einzieht. Wie er auf übersinnliche Art und Weise mit ihrem Hund Banfield kommuniziert und wie ihn die Geister der toten Punkwracks Vicious, Bators und Thunders gruseln. Ein humorvolles, böses Buch.

Als er mit dem Roman im Frühling auf Signiertour ging, bemerkte das New Yorker Punk Magazine bewundernd, dass Dee Dee Ramone „ein Mann ist, der nach der alten chinesischen Widmung ‚Mögest du ein interessantes Leben haben‘ lebte“, und wie erstaunlich es sei, dass er nicht nur überlebte, sondern auch neue Wege des Ausdrucks gefunden habe. Aber jetzt hat der „Taking Dope“-Stil ihn eingeholt.

Das große, traurige, aber wenig überraschende Ramones-Sterben hat begonnen: Ein Jahr nach dem Krebstod von Leadsänger Joey wurde Dee Dee am Mittwoch von seiner Frau in ihrer gemeinsamen Wohnung in Hollywood leblos auf dem Sofa gefunden, neben sich ein Spritzbesteck, Inhalt noch unbekannt. Irgendetwas Chemisches wird es gewesen sein. Denn Dee Dee hatte schon immer eine Schwäche für Chemikalien.

JENNI ZYLKA

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen