: Suzanne am Telefon
Was folgt, wenn eine Liebe endet, die Ehe scheitert? Suzanne Vega hat auf ihrem aktuellen Album „Songs in Red and Grey“ die Nabelschau entdeckt, die Tagebucheintragung zum Songtext entwickelt
von THOMAS WINKLER
Stell dir vor, das Telefon klingelt. Suzanne Vega ist dran. Ihre Stimme ist glockenhell und klar wie immer. Ein Anruf aus der Vergangenheit. Lange hat sie nichts mehr von sich hören lassen, fünf Jahre lang. Nun erzählt die Stimme von Zweifeln und Einsamkeit, vom Verlassenwerden und Verlassensein, von Verletzungen und Schmerz und Rachsucht.
So, wie ein solches Telefongespräch, klingt „Songs in Red and Grey“, das sechste Album der New Yorker Singer/Songwriterin. Es ist eine Aufarbeitung ihrer gescheiterten Ehe mit Mitchell Froom. Der war nicht nur Ehemann und Vater der mittlerweile sechsjährigen Tochter, sondern auch ihr Produzent, bis er sich vor drei Jahren mit Vonda Shepard, der Sängerin aus der notorischen Bar in „Ally McBeal“, davonmachte.
Elektronische Experimente wie auf dem letzten Album „99.9 F[o]“ sucht man nun vergebens. Anstatt die von Froom betriebene Modernisierung ihres Sounds weiterzuverarbeiten, erinnert die eher konventionelle Instrumentierung an ihre Anfangstage als Folksängerin im Greenwich Village. Der Sound ist angenehm warm, dominiert von akustischen Gitarren und Streichern, wirkt aber fast spartanisch.
Dass Vega nicht sonderlich gut zu sprechen ist auf ihren Exmann, kann man nicht nur hören, sondern auch in ihren Texten nachlesen, hierzulande sogar in einem beigelegten Booklet mit deutschen Übersetzungen. Mit nun mittlerweile 42 Jahren hat sie ihr persönlichstes Album aufgenommen. Sehr viel konkreter sind ihre Zeilen geworden, zutiefst privat, mitunter schmerzhaft – Tagebucheintragungen einer gescheiterten Ehe. In „Penitent“ erzählt sie von der Sehnsucht nach dem verlorenen anderen, nach seiner Stimme. In „(I’ll Never Be) Your Maggie May“ beschreibt sie die erste Trotzreaktion nach dem Verlassenwordensein. Und in „If I Were A Weapon“ bekommen schließlich die ersten Vergeltungsgedanken Form. So zeichnet Vega auf „Songs in Red and Grey“ mit nahezu akribischer Detailverliebtheit die Jahre nach, die folgen, wenn eine Liebe endet. Wo früher viele Songs eher Stimmungsbilder waren, in die man sich heimelig einkuscheln konnte, hat auch sie nun die Bauchnabelschau entdeckt, die Tagebucheintragung als Songtext.
All das entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Schließlich war es diese neue Direktheit, mit der eine ganze Generation von Sängerinnen ihren Durchbruch in den Mainstream feierte, die ohne die frühen Achtungserfolge von Vega, vor allem mit dem 87er-Hit „Luka“, womöglich nie einen Plattenvertrag von der weiter streng patriarchischen Musikindustrie bekommen hätten.
Dabei war sie weniger Prototyp als Vorläuferin. Sie hat Möglichkeiten eröffnet, die nach ihr von Sheryl Crow, Alanis Morissette oder Liz Phair genutzt wurden. Mit deren zum Teil sexuell expliziter Sprache, mit deren kämpferischer Offenheit konnte sie allerdings nie etwas anfangen. Sie sah sich immer eher beeinflusst von Männern, die Einsamkeit und Verlorenheit zur romantischen Pose erhoben, sah sich in der Tradition von Songschreibern wie Lou Reed und Leonard Cohen, die ihr mitunter peinlich-peinsames Gefühlsleben erfolgreich in allgemeingültige und vor allem poetische Geschichten umsetzten. Vegas Stärke war es, trotzdem nie in den berufsbedingten Zynismus ihrer männlichen Vorbilder zu verfallen. Oder deren Drang zur eigenen Legendenbildung nachzugeben, auch wenn ihr das eigene Leben schon mal vorkam wie „aus einem Roman von Dickens oder einem Film Noir“.
So würde Vega wohl auch vehement bestreiten, dass sie die allzu öffentliche Therapie eigentlich privater Probleme betreibt. Nicht umsonst arbeitet sie sehr langsam und hat in siebzehn Jahren nun gerade mal sechs Alben herausgebracht. Wieder hat sie Jahre gebraucht nach dem Ende der Beziehung, bis sie überhaupt Songs schreiben konnte. Erst als die Verarbeitung halbwegs abgeschlossen, der Schmerz ein Stück entfernt war, begann sie ihre Erfahrungen in Verse umzusetzen. Plötzlich hatte sie wieder Geschichten zu erzählen, wie früher, die sich auf die eigenen Gefühle beziehen, ohne reines Bekenntnis zu sein. So ist also alles beim Alten. Und alles ganz neu. Es ist nicht nur vollkommene Wandlung und auch nicht Rückkehr zu den Wurzeln, sondern wohl beides.
Suzanne Vega: „Songs in Red and Grey“ (Interscope/Universal)
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