Wibke Bruhns über Deutschland und Israel: „Bild dir bloß nicht zu viel ein“
Für Wibke Bruhns war Willy Brandt eine Hoffnung, Grass ist für sie ein alter eitler Herr, und ihr eigenes Alter empfindet sie als vierte Jahreszeit.
taz: Frau Bruhns, Sie haben von 1979 bis 1984 für den Stern als Nahostkorrespondentin in Israel gearbeitet. Um wen haben Sie im Moment mehr Angst – um die israelische Bevölkerung oder um die iranische?
Wibke Bruhns: Ich habe überhaupt keine Angst – um beide nicht. Es gibt eine neue Kriegsrhetorik, ja. Und ich sorge mich natürlich um die Israelis. Das ist ein so winziges Land. Aber warum sollten die, wie Günter Grass zu befürchten scheint, einen atomaren Erstschlag auslösen? Das haben sie 1981 mit der Bombardierung des Atomreaktors im Irak doch auch nicht gemacht. Sie haben auch nicht mit Atomwaffen reagiert, als Irak 1991 seine Raketen auf Israel abfeuerte.
Im Moment steht Israel innenpolitisch unter hohem Druck.
Das ist immer so. Aber mich bedrückt die wachsende Rechtslastigkeit. Außerdem sind die orthodoxen Juden auf dem Vormarsch und versuchen, immer rigidere Regeln durchzusetzen.
Wird das demokratische Israel gerade von seinen eigenen Fundamentalisten unterwandert?
Als Wibke Gertrud Klamroth wurde Bruhns am 8. September 1938 in Halberstadt geboren. Sie war 5 Jahre alt, als ihr Vater, ein Abwehroffizier, im August 1944 in Berlin wegen Hochverrats hingerichtet wurde.
Nach einem abgebrochenen Studium und Bild-Volontariat folgten Stationen beim NDR und dem ZDF. Am 12. Mai 1972 las sie als erste Frau im deutschen Fernsehen die Nachrichten.
Sie unterstützte 1972 den Wahlkampf von Willy Brandt und verließ kurze Zeit später das ZDF, um zum Stern zu wechseln. 1979 ging sie als Korrespondentin nach Israel. 1984 wechselte sie nach Washington, um 1988 auch beim Stern zu kündigen. Es folgten Stationen beim ORF und Vox.
2004 erschien ihr Bestseller „Meines Vaters Land“. Im März veröffentlichte sie ihre Biografie, „Nachrichtenzeit: Mein unfertigen Erinnerungen“, Droemer Verlag, 22,99 Euro.
Zu meiner Zeit lebten nur 3 Prozent orthodoxer Juden in Israel, heute sind es 20 bis 25 Prozent. Sie haben viele Kinder, und sie werden allmählich zu einer sozialen Bedrohung. Staat und Gesellschaft zahlen für die Orthodoxen – das Thora-Studium ist göttliches Gebot, da kann man daneben nicht auch noch Geld verdienen. Die Frauen verbergen sich unter Perücken und bodenlangen Gewändern. Die Männer, in ihren schwarzen Gewändern, sind sehr krawallbereit. Das ist eine Kampfansage an die moderne Gesellschaft.
Sie haben 1972 gemeinsam mit Günter Grass Wahlkampf für Willy Brandt gemacht. Was denken Sie über Grass’ Israel-Gedicht?
Es ist schon bemerkenswert, wie sehr die Bereitschaft gestiegen ist, auf Israel einzuschlagen. Aber ich musste auch sehr lachen, als ich dieses – na ja, man kann’s gar nicht „Gedicht“ nennen –, dieses Pamphletchen gelesen habe. Grass ist ein beratungsresistenter alter Herr, der sich schon immer zu ernst genommen hat. Er spielt sich gern auf.
Wie hat Grass sich damals im Willy-Wahlkampf verhalten?
Nach dem Wahlsieg 72 sah Grass sich schon als graue Eminenz, die dem Regierungschef erzählt, wo’s langgeht. Brandt hat sich das verbeten. Was er da jetzt geschrieben hat, ist Quatsch. Er wurde lange nicht mehr beachtet, der Jubel über seine letzten Bücher hält sich auch in Grenzen, und nun hat er’s also so versucht – seine Eitelkeit kommt wieder hoch. Es ist schon bemerkenswert, wie er sich zum Richter aufschwingt. Er hat anscheinend auch überhaupt nicht recherchiert. Was er über Israels Atomwaffen schreibt, ist doch schon oft gesagt worden. Ich selbst habe schon vor 25 Jahren darüber geschrieben. So zu tun, als wisse das niemand und jetzt müsse Grass kommen und es der Welt erzählen, das ist schon bemerkenswert … dreist.
Ist Grass ein Antisemit – wie viele jetzt schreiben?
Nein. Das Gedicht ist schlecht. Aber Grass ist kein Antisemit, das ist dummes Zeug.
Ihr Vater Hans-Georg Klamroth wurde 1944 nach dem missglückten Attentat auf Hitler als Mitwisser gehängt. Kürzlich wurde die Neonazi-Mordserie der sogenannten Zwickauer Zelle aufgedeckt. Was hat diese Nachricht in Ihnen ausgelöst?
Ich war zornig, unglaublich zornig. Die Geheimdienste haben jahrelang nicht begriffen, dass es sich um eine hochgefährliche, widerliche Mörderbande handelte. Stattdessen wurde immer darauf beharrt, es gebe keinen ausländerfeindlichen Hintergrund. Wie kann so etwas passieren? Es drängt sich tatsächlich der Verdacht auf, dass die Leute bewusst nicht geschnappt wurden. Vielleicht wird der Dilettantismus nur vorgetäuscht? Bei dieser Vermutung wird mir schlecht.
Frau Bruhns, Sie haben einmal angemerkt: „Auf meinem Grabstein wird wohl stehen: ’Hier ruht die erste Nachrichtensprecherin Deutschlands und die Geliebte Willy Brandts.‘ “ Ärgert Sie diese ewige Reduzierung?
Mittlerweile nicht mehr. Eine gewisse Zeit wurmte mich das schon. Nachrichtensprecherin – das war kein journalistischer Job, langweilig zumal. Ich habe Texte vorgelesen, an denen ich nicht ein Wort ändern durfte. Und das Gerücht mit Brandt konnte ich erst vor Kurzem endgültig ausräumen. Ich war nicht mit ihm im Bett. Punkt. Wie auch? Er hat mich nie gefragt. Wissen Sie, lange Zeit gab es bei Bonner Journalisten den Ehrenkodex, nicht über die Liebschaften von Politikern zu reden. Die Bonner Republik damals war eine andere als die Berliner heute. Es wurde ja auch nicht über Helmuth Kohl und Juliane Weber öffentlich spekuliert. Erst Brandts letzte Ehefrau Brigitte Seebacher machte seine Affäre mit der Journalistin Heli Ihlefeld öffentlich.
Haben Sie es nach Barzels gescheitertem Misstrauensvotum gegen Brandt bereut, als Journalistin Wahlkampf für Brandt gemacht zu haben?
Natürlich nicht,es war eine spannende Zeit. Ich hätte das als Journalistin zwar nicht machen dürfen, aber ich hab’s getan, und ich hab’s sehr gern getan. Wenn mich das ZDF rausgeschmissen hätte, wäre mir das auch egal gewesen. Das war eine historisch so bedeutsame Zeit – und ich mittendrin. So was lass ich mir nicht entgehen.
Weshalb hat Brandt so viel Enthusiasmus bei Ihnen ausgelöst?
Ich versprach mir von Willy Brandt eine Erlösung aus dem Mief der Adenauer- und Erhard-Jahre. Die Stimmung damals war unglaublich – die Deutschen haben sich entweder für oder gegen Brandt eingesetzt. Das ganze Land war aufgewacht. Es gab weder zuvor noch danach eine solch lebhafte Bereitschaft in der Gesellschaft, sich öffentlich zu engagieren. Wir hatten eine Wahlbeteiligung von 91 Prozent. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.
Warum sind Sie eigentlich nicht selbst in die Politik gegangen?
Brandt hat mir dazu geraten. Ich hätte vermutlich einen Wahlkreis erhalten, und der Job hätte mich sehr interessiert. Aber ich hatte zwei kleine Töchter. Als Politikerin hätte ich Familie und Job nicht miteinander kombinieren können, und meine Kinder wollte ich nicht einfach anderen überlassen.
Nach dem Tod Ihres Ehemanns zogen Sie mit Ihren zwei Töchtern als Stern-Korrespondentin nach Israel. Woher haben Sie die Kraft dazu genommen?
Ich hab wenig geschlafen und sehr viel nachts gearbeitet, um tagsüber Zeit für meine Kinder zu haben. Wo steht geschrieben, dass das Leben einfach zu sein hat? Entweder du gehst daran zugrunde – oder du wirst stärker, das ist seit meiner Kindheit mein Motto.
Nun sind Sie 73 Jahre alt und gehen … dem Alter entgegen …
Ich bin alt! Darauf bestehe ich. Und ich freue mich über das Alter. Das ist meine vierte Jahreszeit. Als ich 70 wurde, da habe ich gehadert, das geb ich zu. Der körperliche Verfall gefällt mir nicht – wem schon? Aber ich lasse mir trotzdem kein Botox spritzen. Dann bin ich eben knitterig. Das ist mein Gesicht.
Ulrich Wickert meidet mit 69 keine Kameras, gestrafft sieht er auch nicht aus. Gilt das Faltenverbot nur für Frauen?
Eine alte Frau vor der Kamera trifft immer noch auf starke Ablehnung. Als Interviewpartner sind ältere Frauen willkommen, aber nicht als Gastgeberinnen. Eine alte Frau als Nachrichtensprecherin würde einen Sturm der Entrüstung auslösen.
Bringt uns das Frausein also Nachteile im Journalismus?
So zu tun, als seien wir unterdrückte Mäuschen, ist Quatsch. In dem Job kann es auch sehr hilfreich sein, eine Frau zu sein. Als ich im Pentagon recherchiert habe, wurden mir alle Türen aufgemacht – natürlich hat es mir da geholfen, dass ich eine Frau bin. Im Männerhaus.
Wäre eine Karriere wie die Ihre heute noch möglich?
Nein, das glaube ich nicht. Es ist immer noch eine Männerwelt, und welcher Chefredakteur hat heute noch den Mut, eine alleinerziehende Mutter ins Ausland zu schicken, auch noch in den Nahen Osten?
Der Spiegel druckte kürzlich ein Foto, auf dem eine Reporterin neben Gaddafis Leiche steht. Wie finden Sie diese Form von Trophäenjournalismus?
So etwas ist zum Kotzen. Ich will nicht einmal in die Nähe von solchem Journalismus kommen. Diese Bilder sind nicht besser als die aus Abu Ghraib. Mit solchen Fotos soll die Konkurrenz ausgestochen werden. Es gibt mittlerweile eine Dynamik im Journalismus, bei der ich nicht weiß, wo sie uns noch hinführen wird und wie, ob wir sie lenken können. Dass wir uns alle jetzt vorbeten: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, wird ja wohl kaum eintreten.
Sie waren Stern-Korrespondentin und sind heute Bestsellerautorin. Geraten prominente JournalistInnen nicht in Gefahr, selbstgefällig zu werden?
Die Gefahr besteht. Absolut. Ich bin, denke ich, vorwiegend uneitel. Aber manchmal habe ich mich schon bei Sätzen ertappt, wo ich dachte: Vorsicht! Bild dir bloß nicht zu viel ein. Man erlebt Dinge, die andere …
… nur aus dem Fernsehen kennen.
Ich bin einfach neugierig. Und hartnäckig. Ich will wissen, was hinter verschlossenen Türen passiert.
Frau Bruhns, heute, alt und uneitel – welche Tür würden Sie gern noch aufknacken als Journalistin?
Merkel. Sie macht einen hervorragenden Job. Angela Merkel eine Weile zu begleiten … das wär’s, das würde mich noch reizen.
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