„Westfälische Rundschau“: Zensur in eigener Sache
Hunderte demonstrieren gegen die Redaktionsabwicklung der „Westfälischen Rundschau“. Die Leser der betroffenen Zeitung erfahren davon nichts.
![](https://taz.de/picture/175934/14/wr_protest_dortmund_1901.jpg)
KÖLN taz | Eine Redaktion wird abgewickelt, aber die Leser sollen es nicht mitbekommen. Wer sich am Wochenende auf den Internetseiten der Westfälischen Rundschau (WR) umschaute, konnte dort allerlei mehr oder weniger Interessantes finden – nur nichts in eigener Sache. Keine Silbe über die Demonstration, die am Samstag für den Erhalt des traditionsreichen Blattes durch Dortmund zog. Die WAZ-Gruppe will nicht, dass in ihren Zeitungen kritisch über die geplanten „Umstrukturierungen“ berichtet wird.
Am vergangenen Dienstag hatte die WAZ-Geschäftsführung bekannt gegeben, dass sie künftig keinen Bedarf mehr an einer eigenständigen WR-Redaktion hat und das Blatt ab Februar lieber mit Fremdinhalten füllen lässt. 120 WR-Mitarbeiter verlieren ihren Arbeitsplatz. Hinzu kommen rund 150 freie Journalisten, die die WR als Auftraggeber verlieren werden.
Der Protest dagegen ist groß. „Eine Zeitung ohne Redaktion ist keine Zeitung!", empörte sich nicht nur der nordrhein-westfälische DGB-Vorsitzende Andreas Meyer-Lauber. In den Zeitungen des WAZ-Konzerns erfährt man davon jedoch nichts. Wie es heißt, sollen extra vom Verlag abgestellte Kontrolleure darüber wachen, dass nichts Unbotmäßiges erscheint. Selbst fertig gebaute Seiten sollen in den Mülleimer wandern.
In einer Mail gab der stellvertretende WR-Chefredakteur Lars Reckermann am vergangenen Donnerstag die Anweisung, dass „aus übergeordnetem Interesse“, aber auch „mit Blick auf Verhandlungen, die zumindest noch einigen Kollegen die Möglichkeit geben könnten, weiterzuarbeiten“, im Lokalen „Berichterstattungen die WR betreffend nicht stattfinden“ dürften. In der Redaktion herrsche ein Klima der Angst und Verunsicherung, berichtet ein Insider.
DGB sieht Zensur
Entsprechend der Direktiven von oben berichteten weder die WR noch die anderen Blätter der WAZ-Gruppe über Pressekonferenzen zur geplanten WR-Abwicklung, die der DGB in mehren Städten veranstaltete. Als „Zensur“ bezeichnete der DGB die Nichtberichterstattung: „Wenn die neue Ausrichtung in der WAZ darin besteht, statt informierendem Journalismus Maulkörbe zu verteilen, steht nicht nur die Anzahl der Redaktionen auf dem Spiel“, kritisierten die Vorsitzenden der DGB-Regionen Dortmund-Hellweg und Ruhr-Mark, Jutta Reiter und Jochen Marquardt, in einer gemeinsamen Erklärung.
In seinem Schreiben an die Lokalredaktionen hatte WR-Vizechef Reckermann versprochen, dass in der Freitagsausgabe wenigstens im überregionalen Mantel Stellungnahmen zum geplanten Redaktionsabbau abgedruckt würden. Unter der Überschrift „Hohe Anteilnahme an Redaktions-Schließung“ sollten die empörten Reaktionen von Bürgermeistern, Landtags- und Bundestagsabgeordneten sowie von NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider eigentlich auf Seite 3 erscheinen.
Doch zu sehen bekamen sie nur jene wenigen Leser, die die WR per Post zugeschickt bekommen. In allen anderen Ausgaben mit einem späteren Drucktermin war die Seite kurzerhand ausgetauscht worden. Die Verlagsführung soll die „Unausgewogenheit“ von Meinungen moniert haben.
Entsprechend der Zensurlinie des Hauses unerwähnt bleibt auch ein Offener Brief, den der WR-Betriebrat an die WAZ-Geschäftsführung geschrieben hat. Darin fordert die Arbeitnehmervertretung, die angekündigte Schließung der WR-Redaktion wieder rückgängig zu machen. Der Betriebsrat bezweifelt die vom WAZ-Konzern angegebenen Verlustzahlen und glaubt, „dass politische Hintergründe zu dieser falschen und katastrophalen Entscheidung geführt haben“.
An der von den Journalistengewerkschaften dju und DJV organisierten Demonstration gegen den geplanten Kahlschlag bei der WR nahmen am Samstag in Dortmund laut Veranstalterangaben rund 1.200 Menschen teil, darunter auch NRW-Medienministerin Angelica Schwall-Düren. „Demokratie braucht vor allem im Lokalen Meinungsvielfalt, insofern ist die Schließung der WR-Redaktionen nicht nur eine unternehmerische Entscheidung“, appellierte sie an die gesellschaftliche Verantwortung der WAZ-Gruppe.
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