piwik no script img

Weltliteratur aus KeniaDer Sound von Nairobi

Yvonne Adhiambo Owuor erzählt in ihrem Debütroman mit großer narrativer Kraft eine Geschichte von Liebe und Tod, Verrat und Schweigen.

Als wäre man direkt vor Ort: Straßenszene in Nairobi Foto: imago/ZUMA Press

Dieses Buch umgibt eine besondere Aura. Im Original heißt es „Dust“, auf Deutsch trägt es den weitaus stärker geerdeten Titel „Der Ort, an dem die Reise endet“. Es ist Yvonne Adhiambo Owuors erster Roman.

Die 1968 geborene Kenianerin hat in Nairobi Englisch studiert und in England einen Master in TV and Video Development gemacht. Sie schrieb Drehbücher und leitete das Zanzibar International Film Festival. Dazwischen schrieb Yvonne Owuor Kurzgeschichten, gewann mit einer Story den afrikanischen Caine Prize, eine andere wurde verfilmt. „Der Ort, an dem die Reise endet“ ist also der Roman einer erfahrenen Erzählerin – und einer, die sich spürbar ihrer Stimme und Kraft sehr bewusst ist.

Voller Drastik beginnt ihr Roman: In den Straßen von Nairobi läuft ein Mann vor seinen Verfolgern davon. Odidi. Während er rennt, schlägt sein Bewusstsein in höchster Anspannung Kapriolen: Erinnerungen an Kindheit und Schwester tauchen auf, mischen sich mit Fetzen der Erinnerung an das, was jüngst geschah. An etwas, das Odidi tun wollte, das aber schiefgegangen ist. Sein Auto wollte er zurückhaben, und nun wird er verfolgt, von wem? Es ist der hochkomplexe Auftakt einer Geschichte voller Rätsel, die sich erst nach Odidis Tod nach und nach offenbaren werden.

Owuor führt uns historisch weit zurück bis ins Kenia der fünfziger und sechziger Jahre, gespiegelt im Schicksal zweier Familien. Der titelgebende „Ort, an dem die Reise endet“, ist der einsam gelegene Landsitz Wuoth Ogik im Norden des Landes, ein Gebäude aus rosa Muschelkalk, das allein seiner Farbe wegen wie eine etwas surreale Erscheinung in der staubigen Umgebung wirkt. Es ist ein lyrischer, ein Traumort, mit dem sich aber auch Albträume verbinden.

Die Mutter verschwindet

Odidi und die jüngere Schwester Ajany sind in Wuoth Ogik aufgewachsen. Der Vater stand in Diensten eines britischstämmigen kenianischen Geheimdienstoffiziers, die Mutter ist von unberechenbarem Temperament. Nun kommt die erwachsene Ajany, die schon lange in Brasilien lebt, zurück nach Kenia, um ihren toten Bruder in der Leichenhalle von Nairobi zu identifizieren.

Als sie mit ihrem Vater und Odidis Leiche nach Wuoth Ogik kommt, um den Toten zu Hause zu bestatten, weigert die Mutter sich, den Tod ihres Sohnes als real zu akzeptieren. Wenig später ist sie verschwunden. Es taucht ein Engländer auf, der behauptet, mit Odidi in Wuoth Ogik verabredet zu sein. Er sucht seinen Vater, der einst dort lebte – und dessen Namen Ajany als denjenigen wiedererkennt, den sie in ihrer Kindheit in den Büchern der hauseigenen Bibliothek fand.

Ein insgesamt hochsymbolisches Setting. Nicht nur dass sich im Individuellen das Allgemeine widerspiegelt; hinzu kommt noch die Generationenfrage: Die ältere Generation, aufgerieben und desillusioniert, hat sich ins Abseits zurückgezogen, ins Schweigen. Die Nachkommen müssen mit den Gespenstern der Vergangenheit fertigwerden, mit den Leichen, die immer noch im Keller oder in Höhlen des Nordens verborgen sind.

Man sieht die Farben, spürt die Hitze

Ajany, der alten Heimat fremd, sucht in Nairobi nach den Spuren ihres Bruders. Sie entdeckt in dem Verstorbenen einen einstigen Hoffnungsträger des neuen Kenia, einen idealistischen jungen Ingenieur, der die Wasserversorgung des Landes verbessern wollte und an der allgegenwärtigen Korruption scheiterte. Ein Märtyrer, der vor seinem Tod noch altes Unrecht wiedergutmachen wollte – und gleichsam posthum die Selbstauslöschung des unglückbringenden „Ortes, an dem die Reise endet“, bewirkt, sodass eine neue Reise beginnen kann. Es gibt also wieder Hoffnung.

Das Buch

Yvonne Adhiambo Owuor: „Der Ort, an dem die Reise endet“. Aus dem Englischen von Simone Jakob. Dumont Verlag, Köln 2016, 512 S., 22,99 Euro

Yvonne Owuor erzählt ihre Geschichte mit einer narrativen Kraft, die auf sehr eigentümliche Art ästhetisch aufgeladen ist: Fast glaubt man beim Lesen Farben zu sehen, die Hitze zu spüren, beginnt den Sound der Großstadt Nairobi zu imaginieren. Die Romanpersonen, einschließlich der weiblichen Hauptfigur Ajany, werden so sehr lebendig, behalten aber jede auf ihre Weise einen Rest Unerklärbarkeit.

Man kann den Roman lesen, ohne etwas über die Geschichte Kenias zu wissen. Ein paar konkrete Daten und Ereignisse nennt Owuor, die für ihre Geschichte bedeutsam sind. Yvonne Owuor hat mit ihrem ersten Roman ein Stück Weltliteratur geschrieben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!