Verhältnis von Türkei und Syrien: Warum Erdogan leiser wird
Er stellte sich gegen Assad und sagte dessen Sturz voraus. Doch für diesen Kurs findet der türkische Premier in der eigenen Bevölkerung kaum Unterstützung.
ISTANBUL taz | „Wenn man mit Abdullah Öcalan reden kann, kann man auch mit Assad reden.“ Noch ist diese Position des früheren türkischen Außenministers Yasar Yakis in der Regierungspartei AKP eine Einzelmeinung, aber es mehren sich die Hinweise, dass Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan seine bisherige Syrienpolitik revidieren muss.
Eine Woche nach Erdogans Besuch in Washington und zwei Wochen nach dem verheerenden Anschlag in der Grenzstadt Reyhanli gerät Erdogan wegen seiner fast schon persönlich geführten Fehde mit dem syrischen Diktator Baschir al-Assad immer mehr unter Druck.
Als der türkische Präsident Abdullah Gül in der letzten Woche in Vertretung der Regierung zu einem Kondolenzbesuch nach Reyhanli kam, erlebte er eine unliebsame Überraschung. Kaum einer der Bewohner wollte den Präsidenten treffen. Die Straßen blieben leer, Gül wurde boykottiert, berichteten türkische Journalisten, die den Präsidenten begleiteten.
Syriens Regierung ist nach Angaben der ihr freundlich gesinnten russischen Staatsführung prinzipiell zur Teilnahme an den geplanten Friedensverhandlungen in Genf bereit. Medienberichte, wonach die von den USA und Russland angestoßene Syrien-Friedenskonferenz vorerst auf den 10. Juni terminiert worden sei, wies er zurück.
Innerhalb der größten Oppositionsgruppe ging derweil am Freitag die Suche nach einer gemeinsamen Position zu der Konferenz weiter, die auf den Namen „Genf 2“ getauft wurde.
Das erste Genfer Treffen im Juni 2012 war mit der allgemeinen Einigung beendet worden, eine Übergangsregierung zu bilden und einen dauerhaften Waffenstillstand einzuführen. Die Entschlüsse wurden jedoch nie umgesetzt. (afp)
Schon zuvor hatten Bewohner von Reyhanli gegen die Regierung protestiert. Auch in anderen Orten entlang der syrischen Grenze kam es in den letzten Tagen zu Demonstrationen gegen Erdogan. „Die Leute haben Angst, dass die Regierung sie in den Bürgerkrieg in Syrien hineinzieht“, sagt Serkan Demirtas, Kommentator der Zeitung Hürriyet. „Wird die Regierung ihre Lektion aus dem Attentat in Reyhanli lernen?“ Es gibt tatsächlich Indizien, dass Erdogan aus dem Misserfolg seiner bisherigen Syrienpolitik bald Konsequenzen ziehen wird.
Realität widerlegt Erdogans Ankündigungen
Nach den letzten Umfragen unterstützen nur noch 31 Prozent der türkischen Bevölkerung seinen strikten Anti-Assad Kurs. 11 Prozent wollen eine aktive, womöglich militärische Unterstützung der syrischen Opposition. Erdogans großsprecherische Ankündigungen, die von ihm unterstützte Opposition werde Assad in wenigen Wochen aus Damaskus vertreiben, wird von der Realität Monat um Monat widerlegt.
Auch außenpolitisch sieht sich Erdogan allein auf weiter Flur. Zwar wurde er in Washington mit großem Pomp empfangen und bekam fast sechs Stunden Zeit, dem US-Präsidenten seine Sicht der nahöstlichen Konfliktlage nahezubringen. Doch am Ende war Obama von einer Flugverbotszone in Syrien so wenig überzeugt wie zuvor.
Stattdessen setzen die USA auf Diplomatie, und Erdogan muss mitziehen. Hieß es vor der USA-Reise im Außenministerium in Ankara noch, die von den USA und Russland vorgeschlagene Syrienkonferenz in Genf sei nur sinnvoll, wenn es um ein klares Mandat für eine Übergangsregierung ohne Assad geht, ist die türkische Regierung jetzt selbst dann bereit, in Genf teilzunehmen, wenn auch Assads Freunde aus Teheran mit am Tisch sitzen.
Während der Außenminister Davutoglu darauf beharrt, Assad müsse vor Beginn der Genfer Konferenz seine Macht abgeben, werden innerhalb von Erdogans AKP erste Stimmen laut, die sich sogar vorstellen können, dass Assad selbst teilnimmt. Yasar Yakis, Außenminister in der ersten AKP-Regierung 2003, sagte zu der Zeitung Todays Zaman: „Wir reden zur Lösung der kurdischen Frage mit dem Chef einer Terrororganisation, was spricht dagegen, auch mit Assad zu reden? Vielleicht können die Russen ihn überzeugen, bei den nächsten Präsidentschaftswahlen nicht anzutreten.“
Keine Führungsrolle im Nahen Osten
Erdogan, dessen Erfolge nicht zuletzt darauf beruhen, dass er immer ein Ohr ganz nah an der Stimmung der Wähler hat, ist nach Meinung einiger AKP-Beobachter gerade dabei zu realisieren, dass sein Traum von einer neuen Führerschaft im Nahen Osten den viel realistischeren Traum einer Präsidentschaft in der Türkei gefährden könnte, die er nächstes Jahr antreten will.
Zunächst versuchte der Ministerpräsident noch, die Schuld an der syrischen Misere der Presse zuzuschieben. Auf dem Rückflug aus Washington beschuldigte er die ihn begleitenden Chefredakteure, die Medien würden zu kritisch über seine Syrienpolitik berichten. Nach dem Attentat in Reyhanli wurde gar eine komplette Nachrichtensperre verhängt, damit die Regierung ihre Version der Urheberschaft des Attentats möglichst unhinterfragt unter die Leute bringen konnte. Doch es nutzt nichts. Kaum jemand glaubt, dass türkische Linksradikale im Auftrag von Assad die Bomben legten.
Doch um gegenüber Syrien glaubhaft umsteuern zu können und seine Fehde mit Assad zu beenden, braucht Erdogan einen Sündenbock, dem die Verantwortung für die Fehler der Vergangenheit aufgebürdet werden können. Nach Lage der Dinge kommt dafür nur Außenminister Ahmed Davutoglu infrage. Der Architekt der neoosmanischen Außenpolitik Erdogans wird von der Opposition schon lange verspottet, aus seiner Politik der „Null-Probleme“ mit den Nachbarn sei eine Situation des Dauerstreits geworden.
„Der schlechteste Außenminister, den die Republik je hatte“, höhnte Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu. Die Gerüchteküche in Ankara will bereits einen Nachfolger für Davutoglu kennen: Hakan Fidan, Chef des Geheimdienstes MIT, der den bislang erfolgreichen Rückzug der PKK mit PKK-Chef Abdullah Öcalan persönlich ausgehandelt hat.
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