Teurer Nahverkehr: Tickets statt Knast

Fahren Obdachlose in Hamburg schwarz, landen sie häufig im Gefängnis - das ist teuer für die Stadt. Bedürftige sollten kostenlos fahren dürfen, fordert eine Initiative.

Zahlungkräftige unter sich: in der Hamburger U-Bahn. Bild: dpa

HAMBURG taz | 60 Menschen sitzen derzeit in Hamburger Gefängnissen, weil sie wegen „Beförderungserschleichung“ verurteilt wurden – sie wurden beim Schwarzfahren in Bus oder Bahn erwischt. Ohne gültiges Ticket fahren insbesondere Arme und Obdachlose, weiß Cordula Koning von der Schuldnerberatung der Diakonie. Obdachlose „müssen schwarz fahren, weil sie nicht anders können“, sagt auch Dieter Kröger von der Initiative für ein kostenloses Nahverkehrs-Ticket.

Zum Jahreswechsel hat der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) seine Preise erhöht. Im Schnitt kosten die Tickets nun 3,5 Prozent mehr als im vergangenen Jahr. Im gleichen Zug hat der Hamburger Senat den Zuschuss für das Sozialticket um einen Euro auf 19 Euro hochgesetzt: Kostet eine normale Monatskarte für zwei Tarifzonen 60,80 Euro, sind es subventioniert 41,80 Euro. Zwischen 2003 und 2009 erhielten Empfänger von Sozialleistungen keinerlei Vergünstigungen für die Nahverkehrs-Nutzung.

Wer drei mal ohne Fahrschein erwischt wird, bekommt eine Strafanzeige. Damit fallen nicht mehr nur die Gebühren für das Schwarzfahren selbst an, sondern – je nach Höhe der jeweiligen Tagessätze – auch zusätzliche Kosten von mehreren hundert Euro für den Strafbefehl.

Rund 3,5 Prozent der kontollierten Fahrgäste haben nach HVV-Angaben keine gültige Fahrkarte.

Schwarzfahren kostet 40 Euro. Mit dem zweiten Mahnschreiben werden 45 Euro fällig.

Wird der Betrag nicht beglichen, schaltet der Verkehrsbetrieb eine Inkasso-Firma ein. Bei der Hamburger Hochbahn passiert das in rund 28 Prozent der Fälle. Die S-Bahn Hamburg hat im letzten Jahr rund 30 Prozent der Fälle von "Fahren ohne Fahrschein" an eine Inkasso-Firma weitergegeben.

Mit Anwalts-, Kontogebühren und Zinsen erhöht sich der Betrag dann auf bis 110 Euro - dazu kommen hohe Kosten für den Strafbefehl.

Vor drei Monaten hat die Hochbahn die Zusammenarbeit mit dem umstrittenen Inkasso-Unternehmen Mumme & Partner aufgekündigt und arbeitet nun mit der Bertelsmann-Tochter Arvato Infoscore mit Sitz in Baden-Baden zusammen.

Für diejenigen, die das nicht bezahlen können, folgt dann eine Haftstrafe – laut dem Straßenmagazin Hinz&Kunzt im Schnitt zwei Monate lang. Pro Tag kostet jeder Häftling die Stadt 150 Euro – weil das entschieden mehr ist, als ein Gratis-Ticket für Bedürftige kosten würde, fordert die Initiative nun, Obdachlose gleich umsonst fahren zu lassen.

Allein im Jahr 2009 wurden in Hamburg 623 Menschen zu Freiheitsstrafen verurteilt, weil sie ohne gültigen Fahrschein unterwegs waren. Bettina Reuter, Vorsitzende der Ambulanten Hilfe Hamburg, vermutet, dass die Zahl der Schwarzfahrer im vergangenen Jahr sogar noch höher war: Um an ihre Sozialleistungen zu kommen, müssen Betroffene zu Monatsanfang immer erst aufs Amt. Weil nach einer Änderung der Tarife ihre Dauerkarte zu Monatsanfang nicht mehr galt, fuhren Inhaber des Sozialtickets häufig schwarz. Das hat der HVV inzwischen geändert.

Die Forderung nach einem kostenlosen HVV-Ticket für Obdachlose stieß in Hamburg bislang auf taube Ohren. 2012 initiierte Kröger zusammen mit der Obdachlosen-Tagesstätte Herz As erstmals eine Spendenaktion, bei der 270 Euro zusammen kamen. Davon zahlte die Tagesstätte Einzeltickets oder auch mal eine Wochenkarte für diejenigen, die auch im Winter nicht in die Obdachlosenunterkünfte gehen – also auf der Straße bleiben. „Dieses Jahr läuft es schleppender“, sagt Herz-As-Leiter Andreas Bischke. In der vergangenen Woche ging die erste Spende ein: 100 Euro.

„Obdachlose müssen mobil sein“, sagt Knud Bräutigam vom Diakonischen Werk. Die verschiedenen Einrichtungen verteilen sich in der ganzen Stadt. Bedürftige müssen etwa von der Unterkunft zur Tagesstätte, um dort zu essen und zu duschen und an ihre Post zu kommen, dazu kommen Behördengänge.

Für Obdachlose ist Bus- und Bahnfahren im Winter aber auch ein Schutz vor der Kälte. Die Bremer Verkehrsbetriebe ließen im vergangenen Winter Obdachlose bei klirrender Kälte bis Ende Februar umsonst mitfahren.

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