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Tablet-LernenGoethe im Reclamheft der Zukunft

An Schulen herrscht oft digitale Steinzeit. Das Projekt "paducation" einer Hamburger Schule zeigt, wie es anders geht: Tabletcomputer öffnen neue Fenster zur Lernwelt.

Kommt in Hamburg jetzt auch in der Schule zum Einsatz: Tablet-PC. Bild: dpa

HAMBURG taz | In Raum 39 platzt der Putz von den ockergelb gestrichenen Wänden. Eigentlich ein Klassenzimmer wie jedes andere in Deutschland. Wären da nicht die digitalen Schiefertafeln, sogenannte Tablet-PCs, über die sich 22 Schülerköpfe beugen. Das Klassenzimmer, an vielen Schulen noch Zukunftsvision, ist am Hamburger Kurt-Körber-Gymnasium (KKG) längst Realität. Zu Beginn dieses Schuljahres haben 70 Schüler, die komplette elfte Oberstufe, jeweils ein eigenes Tablet bekommen.

Die Wandtafel im Unterricht von Kirsten Pieper bleibt heute ungenutzt. Die Deutschlehrerin projiziert ihre Fragen lieber an die Leinwand. Die "Leiden des jungen Werthers" sind Thema. Die Schüler sollen anhand eines Briefes des jungen Stürmer und Drängers dessen gesellschaftliche Nonkonformität und Hingabe zur Natur ergründen.

So weit, so normal. Doch der Schüler Kulbir Singh Randhawa greift nicht mehr zum gelben Reclamheftchen. Die Hand des 16-Jährigen mit dem auffälligen Turban geht zu seinem iPad, einem Tablet-PC. Mit seiner Fingerkuppe wischt und tippt er einige Male auf dem berührungsempfindlichen Bildschirm herum - und öffnet so die E-Book-Version seines "Werthers". Goethe im 21. Jahrhundert.

Geht das? Können wir ein Kulturgut wie Goethe über ein Tablet vermitteln? "Meine Eltern sind skeptisch", sagt Kulbir. "Sie sagen, das Ding sei eine Spielerei und würde mich vom Lernen ablenken." Wie sie musste Christian Lenz, Schulleiter des Gymnasiums, viele überzeugen, als er "paducation" initiierte. Eltern, Lehrer im Kollegium und Schulbehörden, sie alle wären im Jahr 2010 zunächst skeptisch gewesen, berichtet Lenz. "Aber die vielen pädagogischen Möglichkeiten des Geräts haben dann doch überzeugt: Ein persönliches Lernwerkzeug mit ständig verfügbarem Internetzugang."

Auch die Kurt-Körber-Stiftung und die Hamburger Behörde für Schule und Berufsbildung fanden die Idee so spannend, dass sie die Tablets finanzierten und "paducation" zu einem Pilotprojekt erhoben. Wissenschaftlich begleitet von der örtlichen Uni, dem Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung und dem Institut für Informationsmanagement Bremen.

Ein verlängerter Arm der Schüler

Lernen - jederzeit und überall, das ist das Versprechen von "paducation". Denn im Gegensatz zu anderen iPad-Projekten deutscher Schulen nehmen die Elftklässler des KKG die eleganten Computer auch mit nach Hause. "Nur so kann die Technik den Schülern ein sinnvoller Lernbegleiter sein", sagt Lenz. Und so könnte vielleicht gelingen, woran Jahrzehnte statischer Computerpools gescheitert sind: Zukunft und Gegenwart miteinander zu versöhnen.

Für ihren Unterricht hätte sie früher nie die Computerräume genutzt, sagt Pieper: "Viel zu künstlich, diese Lernumgebung." Das Tablet dagegen ist keine Prothese, sondern verlängerter Arm der Schüler. Kyra Lee Bucks iPad liegt wie selbstverständlich neben Schulheft, Füller und Bleistift.

Die 16-Jährige greift nur dann zu ihrem Tablet, wenn sie es wirklich braucht. Gerade überfliegt sie eine Textstelle im Werther, hält inne - schon wieder so ein mittelhochdeutsches Einsprengsel. Schnell den digitalen Duden auf ihrem Ipad geöffnet und nachgeschlagen. Selbstverständlich, könnte man meinen? "Ich habe früher nie so ein fettes Buch mit mir herumgeschleppt", antwortet Kyra.

Es gibt tausende solcher Lernapplikationen, die das Lernen multimedial und vor allem individuell gestalten können. Das Internet als Cloud erleichtert das gemeinsame Erarbeiten von Inhalten: Auf der virtuellen Schulplattform erscheint das, was Piepers Schüler in den zwei Stunden zusammengetragen haben, von allen einsehbar. Zu Hause ergänzt Kyra so ihre eigenen Notizen und tauscht sich im Chat über Gedanken zu Goethes Werther aus.

Das ist eine der ganz neuen Möglichkeiten: Früher machte jeder für sich allein Hausaufgaben - jetzt können die Schüler auch in diesem Moment zusammenarbeiten. Kollaboratives Lernen heißt das Zauberwort der Szene, ermöglicht durch virtuelle Lernräume, die man über attraktive Endgeräte betritt.

Vorbereitung auf das Berufsleben

So unbegrenzt die Möglichkeiten des individuellen und gemeinsamen Lernens sind, so unbegrenzt sind auch die Gefahren eines Gerätes. Sie dienen nicht nur als Fenster zur Lernwelt, sondern auch als Schnittstelle zwischen Realität und virtuellen Abgründen. Die Schule hat zwar einen Nutzungsvertrag mit ihren Schülern ausgehandelt - aber Lenz muss sich trotzdem mit Themen wie Cybermobbing, Pornografie und Gewaltdarstellung im Internet auseinandersetzen.

Der Schulleiter nimmt diese Gefahren als Herausforderung an. Unwägbarkeiten und Grenzen der digitalen Revolution müssten im Schulalltag immer wieder neu ausgelotet werden. Einfach die Augen verschließen, das geht nicht: "Es ist der Wandel in der Welt, der uns zu diesem Schritt verpflichtet", sagt Lenz.

Der Schulleiter glaubt, seine Schüler nur so auf das berufliche Leben ausreichend vorbereiten zu können. "In einem sozialen Brennpunktstadtteil wie Hamburg-Billstedt sind wir als Schule mit 500 Schülern in der Pflicht, Bildungsbenachteiligung zu verringern", sagt er. "Selbst wenn unsere Arbeit nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist."

Letztlich zählt für Lenz nur eines: "Der Primat der Pädagogik." Dieser Vorrang des Lernens muss sich auch nach dem Einzug der Tablets immer wieder bewähren. Im Deutschunterricht streikt plötzlich die Tastatur, die Verbindung zum Beamer wird unterbrochen. Kyra, Kulbir und ihre Mitschüler sind mehr mit der Technik beschäftigt, als sich in Kleingruppen über Werthers Gefühle auszutauschen.

"Wir diskutieren ständig darüber, wo und wie man das iPad am besten nutzen kann", sagt Pieper. Neben Kinderkrankheiten rücken mit "paducation" aber auch die großen Fragen in den Mittelpunkt. Was ist schon das von Lenz beschworene "Primat der Pädagogik" wert, wenn die Technik gerade tradierte Bildungsparadigmen aufsprengt?

Lenz und seine KollegInnen sind nicht mehr die Einzigen, die Wissen in den Klassenraum bringen. Kulbir googelt im Internet, wenn er etwas über den Autor der "Leiden des jungen Werthers" wissen möchte. Er und seine Mitschüler sind emanzipierter als zuvor. Ihnen zu vermitteln, gute von den schlechten Quellen im Netz zu trennen, könnte da zu einer neuen Aufgabe der Lehrerschaft werden.

Manche denken, es so weit, dass sie sich zugunsten der Geräte vom Bildungskanon verabschieden möchten. Lenz will Faust, Werther und Co. nicht links liegen lassen: "Ich will mit dem iPad keinen Kulturkampf anzetteln." Die Diskussion hat er dennoch. Augenblicklich sind Lehrer hin- und hergerissen zwischen der Idee von Eigenverantwortung des Schülers - und allzu starren Lehrplänen.

Trotz all der Versprechen und offenen Fragen wird über Sieg oder Niederlage der Tablets im Bildungsbereich wohl nur die Antwort auf eine Frage entscheiden: Können die Geräte das Lernen wirklich substanziell verbessern? "Paducation" wird keine bundesweite Bildungsinitiative lostreten. Die Ergebnisse lassen sich wohl kaum aussagekräftig quantifizieren.

Das KKG kann Stein des Anstoßes sein. Viele Kollegen aus anderen Schulen erkundigen sich bereits jetzt bei Lenz und seinen Kollegen, wie man solch ein Projekt stemmen kann. Die Bildungsrevolution wird eben nicht am Tisch irgendeiner Kultusministerkonferenz ausgehandelt, sie beginnt ganz unten, in den Schulen.

Kulbir, Kira und Co. können diese Fragen herzlich egal sein. Sie müssen aufpassen, dass ihnen Neider aus der nächsthöheren Stufe den digitalen Lernbegleiter nicht streitig machen - denn die wollen auch Tablets.

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2 Kommentare

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  • RR
    R. Röder

    Darf ich mal ketzerisch, eingedenk eurer kürzlichen Recherche zu PR-Artikeln Böses unterstellend, fragen, ob es jemanden gibt, der der taz immer mal wieder die euphorischen Artikel sponsort, die eine pädagogische Revolution dank jeweils neuester computertechnischer Mittel bewerben (als positive Ausnahme fiel mir das Streitgespräch mit Christian Pfeiffer auf, taz 26.10.) Ich würde ja gern mal eine Reportage lesen, was aus den angepriesenen Innovationen jeweils drei Jahre später geworden ist.

  • DZ
    der Zukunft

    Solche Ideen in viel besser ohne Steuergelder hatte ich vor 5 bis 10 Jahren schon. Jeder war dagegen.

     

    Man hat natürlich Tastatur und das pad ist nur ein kleinerer Bildschirm. Links ist der Goethe-Text und rechts werden kollaborativ die Antworten eingegeben und gegenseitig bewertet. Wenn man wirklich schlau ist, machen die schlauen Schüler 99% der Arbeit für die jeweils "dümmeren" Schüler und man braucht nur noch viel weniger Lehrer. Schulen finden zu Hause statt. Prüfungen halt an überwachten Orten mit fälschungs-sichereren zertifizierten Pads. Man gibt 5 Euro ab, geht in den Raum macht seine Prüfung (Abitur, Fahrschule, Handwerker-zertifikat,...)+Foto!!!+Ausweiskontrolle am Rathaus wo ständig irgendwer irgendwelche Prüfungen macht.

    Ferien sind wann man will...

    Man bräuchte seit 5 Jahren keine neuen Lehrer mehr einstellen. Grundschullehrer und Sportlehrer für die übergewichtigen Schüler braucht man noch.

     

    Finanzierung: 0. Ich lebe wie ein Putzerfisch von den gesparten Geldern durch verzicht auf neueinstellungen. Oder von den gesparten nachhilfegebühren. Weil die linke aber Computer ablehnt, erkennen sie das gigantische Einsparpotenzial zur vernichtung des "Kreditistischen Bildungs-Komplexes" nicht. Die 99% protestieren nicht zuletzt, weil sie zig/hundertausende $ Kredite fürs Studium abzuzahlen haben.

     

    Mädchenschulen werden nicht mehr abgefackelt, weil sie zu hause lernen können. Was sie wollen bzw. offiziell als Lernmodule erlaubt wurde. Undercover kann man in der Stadt die Prüfung machen und dann in die Frauengebiete in der Stadt ziehen um nicht zwangsverheiratet zu werden.

     

    Das Handwerker und Sparkassen die Hauptschüler und realschüler per Testprüfungen (5-10 Minuten pro Fach maximal) durchcheckern und klar auflisten welche Skills man für KFZ-Mechaniker braucht und die anonyme Punktwolke der Konkurrenten aufgezeigt wird, interessiert auch keinen. Die Handwerker würden korrekte Bewerber bzw. Test-praktikanten kriegen und die Schüler würden lernen was man für Frisöse oder KFZ-Mechaniker an Schulfächern besser aufpassen sollte. Oder glaubt hier jemand, das Curriculum grüner schwarzer gelber roter Schulminister hat Ahnung, was man wofür später mal im Beruf braucht ? Über Feedback-Optimierung läuft das zigmal besser und man hat anständige gute Handwerker.

    Wer zu viel ist studiert dann irgendwas und wird Taxifahrer oder überqualifiziert. Wie in USA längst üblich.

     

    Sowas ginge längst. Selbstfinanziert ohne einen Cent Steuergelder. Nur zur Vergeltung für Abzocke. Aber die Linke schaut lieber zu, wie Scientology den Nachhilfemarkt übernimmt, statt jedem Türken der Rütlischule die Möglichkeit zu geben, im Sparkassen-Bewerber-App die langsamen Deutschen "wegzurechnen" und das (Computer-)Diktat mit weniger Fehlern zu bestehen (das ist ja kein Aufsatz sondern die Buchstaben müssen alle stimmen und somit kann jeder Computer es simpel automatisch Überprüfen) und die Lehrstelle abzugreifen. Auch bei Geschichte kann man die Reihenfolge von Ereignissen sortieren und (Sonderpunkte) die Jahreszahlen dranschreiben. Das sind modernere und trotzdem einheitlich automatisch überprüfbare Prüfungen für im Bus oder Bahn oder überall oder im Bewerbungs-Wartezimmer (wenn auch nicht grade wohl Geschichte).

    Das alles wäre 1999 schon bei Trittin-Schröder und AOL gegangen. Denkt immer dran. Damals halt am PC und weniger durchgängig. Aber trotzdem Lehrerlohn-Einsparend.

    Die Lehrer machen dann sozialen Gruppen-unterricht, Projektbetreung usw.

    Wer dagegen ist, behauptet nämlich Soziale Skills würden untergehen. Das im Frontalismus nur hörigkeit und Folgsamkeit gelehrt werden, wird ignoriert.

    Das jeder Hartzer dieselben Lernmittel hat (Android statt Ipad) wie das Bonzen-Kind und fast auf gleichem Niveau (goldenes Ipad vs. OLPC oder Android-Handy) kämpfen kann, wird von den Linken völlig ignoriert.

    Das Hörsäle nur den Ölscheichs helfen und gute Professoren per Internet lehren (Einheits-Vorlesungen und natürlich die interessanteren Spezialvorlesungen) sollte auch klar sein.

    Das wäre alles schon 1999 gegangen. Eine Generation hat "falsch" gelernt. Bildung kann halb so teuer, doppelt so gerecht und leistungsfähig sein.

    Und das jeder so schnell lernt wie er kann wie im PKW jeder so schnell fährt, wie und wo er kann und nicht wie in der Eisenbahn den Speed aller mithalten/aushalten muss, interessiert die Dagegen-Seier auch nicht.

    Eric Schmidt von Google meinte vor 2 Tagen bei CNBC, das es nichts verkrusteres als das Schulsystem gäbe.

     

    Da man für vieles bis vors Verfassungsgericht (spickmich, wikipedia,...) verklagt oder abgemahnt wird, kann man sowas ohne Schutz leider nicht aufziehen.

     

    Was ich vor 5 Jahren wollte, sieht man heute seit 2-3 Wochen in der Ipad-Werbung. Sicher schon amerikanisch Trivialpatentiert.

    Wie sagen die Checker: Stay stoopid frontalitards. (Frontalist+Retards)

     

    Wenn ein Lehrer pro Monat 2000 Euro kostet (+Pensionsansprüche usw.) macht das 4 Apple-Pads für 500 Euro oder 10 Stück (Android) für 200 Euro durch das gesparte Gehalt. Pro Monat!

    Da schrumpft der Hofstaat schnell weg.

     

    Wer sich über schlechte Bewerber ärgert, hätte besser mal ELearning früher mal eingeführt. Ich hätte es (nachhilfe, Berufsbildung, Handwerker, Bewerber, PrivatSchulen, ... ist doch auch völlig egal) für die hälfte des gesparten Geldes gemacht. Aber jetzt ist alles trivialpatentiert und man muss zu viele Juristen mit durchfüttern.

    Die anderen Länder sind auch nicht besser.

    Ist ja auch nicht verwunderlich wenn man jahrzehntelang nur mieseste Software kennengelernt hat.

    Der Trick sind die umfassenden Selbstorganisationsmöglichkeiten und automatisierbarkeiten.

    Die schlauen Kinder machen ohne es zu merken die Hauptkorrekturarbeit für die jeweils nächst-dümmeren Kinder.

    Das Eltern sehen wie dumm/schlau in der Punktwolke ihre Kinder sind und die Tests alle selber machen können, ist klar und spart diskussionen am Elternsprechtag. Man ist nicht mehr "1A mit Goldenem Lorbeerblatt" oder "cum laude" sondern 12%. Also 11% sind besser und der Rest sind schlechter. Perzentile ergänzen die Noten die man nur für Retroiden noch nutzt.

    jeder Stromberg muss seine Perzentile für die relevanten Fächer an der Tür hängen haben. Und jeder Minister.

    "Ach guck mal, der ist in Rechtschreibung nur 21% (also 20% sind besser, 78% sind schlechter), ich bin 11% und somit 10% besser als der."