Suche nach Unfallschwerpunkten: Vorfahrt für gefühlte Sicherheit

Der Senat fragt Berlins Radler nach Gefahrenzonen – dabei sind die längst bekannt: Man muss nur die Unfallstatistiken lesen.

Unfall Auto vs. Fahrrad: Keine Frage, wer hier der Stärkere ist. Bild: dpa

Die Beteiligung am Internet-Portal des Senats zur Radsicherheit ist hoch: In den ersten drei Wochen sind mehr als 4.000 Vorschläge eingegangen, das Verfahren läuft noch bis zum nächsten Dienstag. Die große Aufforderung oben links auf der Startseite des Projekts lautet: „Sagen Sie uns, wo im Stadtgebiet sich Kreuzungs- und Einmündungsbereiche befinden, an denen Sie häufiger Konfliktsituationen beim Abbiegen erleben oder an denen Sie sich als Radfahrer oder Radfahrerin besonders unsicher fühlen.“

Das entscheidende Wort ist dabei: „fühlen“. Denn wo Radfahrer besonders gefährdet sind, das ist seit Jahren bekannt. Die Polizei hat auch für das Jahr 2012 wieder eine Liste veröffentlicht, in der zu jedem einzelnen Fahrradunfall in Berlin verzeichnet ist, an welcher Kreuzung oder in welcher Straße er passiert ist. Insgesamt wurden in dem Jahr 15 Radfahrer getötet und 684 schwer verletzt. Die gefährlichste Kreuzung war der Moritzplatz mit 28 Unfällen, es folgen der Herrmannplatz mit 21 Unfällen und die Kreuzung Otto-Braun-Straße Ecke Mollstraße mit 17 Unfällen.

Diese Kreuzungen gehörten übrigens auch schon in den Vorjahren zu den gefährlichsten für Radfahrer. Am Moritzplatz gab es 18 Unfälle im Jahr 2011, 7 Unfälle im Jahr 2010, 12 Unfälle im Jahr 2009, 14 Unfälle im Jahr 2008, 6 Unfälle im Jahr 2007, 9 Unfälle im Jahr 2006, 12 Unfälle im Jahr 2005 und so weiter...

Doch anstatt an diesen Orten die tatsächliche Sicherheit zu erhöhen, gibt der Senat 70.000 Euro für ein Online-Portal aus, um die gefühlte Sicherheit zu erfragen. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung rechtfertigt das so: „Das Beteiligungsverfahren nimmt auch ’Beinahe-Unfälle‘ ernst, die sonst nicht in der Unfallstatistik erfasst werden.“

Das klingt natürlich gut, berücksichtigt aber nicht, dass die Stichprobe nicht repräsentativ ist. In der Statistik der Polizei sind 7.342 Unfälle allein für das Jahr 2012 erfasst – und zwar vollständig. Gemeinsam mit den Unfällen der Vorjahre ergibt sich eine umfassende Übersicht über die gefährlichsten Orte für Radfahrer. Auf der neuen Webseite sind dagegen deutlich weniger Unfälle und Beinahe-Unfälle verzeichnet. Und die Einträge stammen nicht vom Bevölkerungsdurchschnitt, sondern überproportional von einem internetaffinen, deutschsprachigen, eher jungen Publikum, das Zeitung liest oder Regionalfernsehen schaut und so von dem Projekt erfahren hat.

Was ist aber mit den Kiezen, in denen diese Zielgruppe unterrepräsentiert ist? Haben die Menschen dort nicht auch ein Recht darauf, sicher mit dem Fahrrad über die Kreuzung zu kommen?

Der Senat hat noch eine zweite Begründung für das Projekt: „Den Radfahrenden wird nicht nur Gelegenheit zur Verortung von Kreuzungen gegeben, an denen sie sich durch Abbiegevorgänge von Kfz unsicher oder gar bedroht fühlen. Gefragt sind auch konkrete Vorschläge, wie die reale (oder gefühlte) Sicherheit aus ihrer Sicht erhöht werden könnte.“

Parkverbote können helfen

Als ob nicht längst bekannt wäre, was für die Sicherheit der Radfahrer zu tun ist: Sie müssen besser zu sehen sein. Neun der fünfzehn getöteten Radfahrer starben, weil ein kreuzender Auto- oder Lastwagenfahrer sie übersehen hat. Radfahrer müssen also frühzeitig erkennbar sein, an Kreuzungen darf der Blick auf den Radstreifen nicht von einer Reihe davor parkender Autos verdeckt werden. Der Senat könnte also Leben retten, indem er großzügige Parkverbotszonen rund um Kreuzungen einrichtet – und das würde nicht mal viel Geld kosten. Es würde allerdings die Bereitschaft erfordern, sich mit den Autofahrern anzulegen.

Siehe auch:

Liste der Polizei mit den Unfällen aller Radfahrer 2012, 2011, 2010, 2009, 2008, 2007, 2006, 2005, 2004, 2003

Alle Unfälle 2011 auf einer Karte

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